: 14 Tage Plusquamperfekt
Didaktiker wissen: Vierzig bis sechzig Prozent der Zeit werden mit Grammatik vergeudet.Sie wissen auch: So lernt man keine Sprache. Sie fordern: neue Konzepte ■ Von Anja Dilk
Umzugstag bei den Bartons. Kisten wandern in den Laster. Die Tochter des Hauses hat keine Lust, zu schleppen, die Nachbarn verabschieden sich artig. Moving-Day at the Bartons – welch herrliche Gelegenheit für eine geballte Portion Plusquamperfekt. Dazu regnet es zwei Wochen lang Grammatik. Wunderbarer Schulalltag – der so oft grausam zerplatzt an der Realität schneidiger Satzfluten, die in Brighton, London oder Glasgow aus den Mündern der Einheimischen perlen.
„Was macht die Schule falsch im Fremdsprachenunterricht?“, fragt der Marburger Sprachdidaktiker Reinhold Freudenstein. Seit dreißig Jahren beschäftigt sich der renommierte Professor, mittlerweile im Ruhestand, mit den Malaisen des Sprachunterrichts. Fazit: „Vierzig bis sechzig Prozent des Unterrichts werden für Grammatik verschwendet. So lernt man keine Sprache. Und: Es ist unzeitgemäß, dass noch immer dieselben Sprachen dominieren wie vor hundert Jahren: Englisch, Französisch und – Latein.“ Sein Vorschlag: Mehr Sprachen an die Schule holen. Im Fremdsprachenunterricht an die Stelle des „Lernens“ das „Erwerben“ einer zweiten, dritten, vierten Sprache stellen: Spracherwerb wie bei der Muttersprache über Zuhören und Sprechen.
Welches der beste Weg zum Sprachenlernen ist, darüber herrscht in der Zunft noch keine Einigkeit. Unumstritten aber ist: Grammatikorgien nützen kaum etwas, am wenigsten den Schülern, für die Englisch und Französisch später nicht nur eine trübe Erinnerung an öden Schulalltag, sondern prächtige Instrumentarien sein sollen, um sich mit Menschen in anderen Ländern zu verständigen.
Sprachen zu beherrschen wird in Europa immer wichtiger, vor allem im Berufsleben. „Es gibt kaum noch Berufe, in denen man auf Fremdsprachenkompetenz verzichten kann“, resümiert Bernd Rüschoff, Professor für Didaktik und technologiegestütztes Fremdsprachenlernen in der Anglistik an der Universität Essen.
Dass sich etwas ändern muss, haben die Schulen längst erkannt. Derzeit gibt es zwei wesentliche Trends. Erstens: früher Fremdsprachenunterricht schon in den ersten Klassen der Grundschule. Was an Waldorfschulen bereits seit 1919 Usus ist, setzt sich jetzt an den allgemein bildenden Schulen allerorten durch. Vorreiter ist Baden-Württemberg, wo eine Fremdsprache seit diesem Schuljahr Pflicht für die Erstklässler ist. In vielen anderen Bundesländern können die Kids Englisch und Französisch ab der dritten Klasse freiwillig belegen. Fremdsprachen sind auch dort Teil des Lehrplans. Ein sinnvoller Schritt, für den sich auch private Initiativen stark gemacht haben wie der Förderverein „Kinder lernen europäische Sprachen“.
Der Vorbehalt, dass die Grundschulknirpse mit Englisch oder Französisch überfordert seien, ist längst vom Tisch. „Natürlich muss man von der Lernpsychologie her anders vorgehen. Die Kleinen lernen spielerischer und handlungsorientierter, der Unterricht ist flexibler“, sagt Didaktiker Rüschoff. „Aber anders als noch vor einigen Jahren ist der Fremdsprachenunterricht für die ersten Jahrgänge mehr als ‚wir schnuppern mal in die Sprache des Nachbarn hinein‘. Die Tendenz geht hin zu einem curricular systematisch aufbereiteten Sprachunterricht.“
Schulbuchverlage wie Cornelsen haben Sprachbücher für die Kurzen auf den Markt gebracht. Um ihr Sprachniveau aufzupeppen, fördern Projekte wie Euroregio den internationalen Lehreraustausch. Denn: Die Kleinen lernen über Imitieren. Einen starken deutschen Akzent ihres Lehrers werden sie oft ihr Leben lang nicht mehr los, sagt Freudenstein.
Zweitens: Bilinguale Lernmodelle gewinnen an Bedeutung. Das heißt: Meist ab der fünften Klasse, manchmal schon früher, lernen die Schüler intensiv eine Fremdsprache, in der sie nach und nach auch andere Fächer lernen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Schulen mit bilingualem Unterricht etwa verdreifacht (siehe auch den Text auf Seite 23).
Auch Neue Medien spielen eine wachsende Rolle. Über Initiativen wie „Schulen ans Netz“ können Lehrer den direkten Kontakt zu anderen Ländern im Fremdsprachenunterricht nutzen. Neu ist das nicht, aber, so Rüschoff, „jetzt zeigt sich, dass es tatsächlich funktioniert und genutzt wird. Vor allem für die Motivation der Schüler sind die Kontakte über das Netz, aber auch die Netzrecherche ungeheuer wichtig.“ Freilich hapert es noch an der Ausstattung der Schulen.
Keine Frage, es tut sich was im Sprachunterricht. Auch die Zahlen der Kultusministerkonferenz stimmen vorsichtig optimistisch: Die Zahl der Fremdsprachen, in denen Schüler eine Prüfung ablegen können, wächst stetig: Japanisch, Chinesisch, Polnisch, Türkisch und Tschechisch sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen. „Die Schüler wissen, dass es ihre beruflichen Perspektiven verbessert, wenn sie Sprachen können“, sagt Martin Pott von der Kultusministerkonferenz. „Deshalb wählen sie mehr Sprachen als je zuvor.“
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