Press-Schlag: „Addun doa!“ ■ Radiophoner Spaziergang mit Milena (4)
Kurz vor der Winterpause war es schon mal soweit gewesen: Es war Samstag, es war 15.30 Uhr, Papa stellte Kinderwagen, Radio und Kopfhörer zurecht, und Milena (damals 21 Monate) sprach die entscheidenden Worte: „Addun doa“. Das meinte keine Adduktorenzerrung, sondern hieß vielmehr: „Achtung, Tor!“ – die Formel, mit der Papa beim Spaziergang für Ruhe sorgt, wenn es im Radio spannend wird. Aber dann kam die Winterpause. Milenas Wortschatzerweiterung ist ebenso in den unergründlichen Tiefen ihres Gedächtnisses verschwunden wie Tabellenstände, Trainernamen und Toreerzielerlisten aus Papas Erinnerung. Jetzt muss man alles neu lernen. Aber macht das wirklich Spaß, wenn alles genauso ist wie immer? Der erste Rückrundenspieltag fühlte sich so an wie das Weiterlesen eines Buchs, über dem man am Vorabend eingenickt war: Man blättert vom Lesezeichen an Seite um Seite zurück, weil man sich nicht mehr zurechtfindet – und merkt dann beim Nachlesen: „Das kennst du doch.“
Also, alles wie gehabt: Dortmund unter den Erwartungen, Werder unterhaltsam und Frankfurt unter Haching. Der SC Freiburg findet es weiterhin zu fantasielos, seine Gäste durch das Verwandeln von Elfmetern zu besiegen, und Werner Lorants Armeeklub ZSKA 1860 hat jetzt auch die Kontolle über den eigenen Kasernenhof verloren. Leverkusen zieht schwachen Gegnern wie gewohnt die Hosen aus – nur um sie sich am Mittwoch in München gegen die Bayern selbst anzuziehen und dann randvoll zu scheißen. (Über Milenas Wickeltisch hängt seit Jahr und Tag ein Mannschaftsfoto der „Farbenstädter“, auf dem „Bayer“ durch „Pampers“ ersetzt worden ist.)
Auch die Reporter der Konferenzschaltung tun das ihre, um den vertrauten Eindruck des Immergleichen zu erwecken: Ihre Phrasen präsentieren sich in gewohnt guter Verfassung und sind glänzend bespielbar. Immerhin dienen die Radioeinblendungen zur effektiven Warnung vor dem masochistischen Betrachten der Fernsehbilder. Edgar Endreß seufzt aus München: „Beide Mannschaften haben gewaltig Rost angesetzt in der Winterpause.“ Und als Tom Bayer aus Bielefeld vergeblich versucht, einem minutenlangen Ballgeschiebe an der Mittellinie etwas Spannung abzugewinnen, fällt Milena endgültig ihr Urteil: Sie klappt das Verdeck hoch und pennt ein. Dadurch verpasst sie den einzigen Moment, in dem die Konferenzschaltung die geliebte Dramatik hätte vermitteln können. Aber leider war Sabine Töpperwien in ihrem Dauerredefluss aus dem längst entschiedenen Leverkusener Spiel nicht zu stoppen. Auch Kurzwellenhörer in Neuseeland wussten bereits Bescheid – nur sie hörte nicht den zunehmend verzweifelten Ruf ihres Bremer Kollegen Henrik Vogt „Tor, Tor in Bremen, Sabine, Tor in Bremen!“
Fazit: Das galt noch nicht. Der Rückrundenstart ist um eine Woche verschoben. Aber immerhin ist es jetzt wieder hell bis zum Abpfiff. Live vom Jacobiweiher:
Oliver Thomas Domzalski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen