: König der Sinne
Das 13. VideoFest setzt auf Internet, Clubkultur und die neue Schlichtheit der Computerkunst ■ Von Ulrich Gutmair
Die letzte große Debatte im Internet verdankt sich Etoy. Das Kunstkollektiv spielt mit korporativen Strukturen. Ihre Domain www.etoy.com wiederum weckte Begehrlichkeiten beim aufstrebenden Spielzeugverkäufer eToys, der den Künstlern die Nutzung ihrer Adresse gerichtlich untersagen ließ. Die Kunst im Netz provoziert die Frage danach, wem das Netz nun eigentlich gehört.
Als das VideoFest vor dreizehn Jahren zum ersten Mal stattfand, konnte Video bereits auf eine lange Tradition als Independentmedium zurückblicken. Inzwischen haben sich die Konfliktlinien zwischen unabhängiger Produktion und kommerziellen Angeboten, Pop und Kunst längst ins Netz verschoben. Gleich vier Panels und Präsentationen widmen sich daher in diesem Jahr den „neuen Dimensionen von Kunst im virtuellen Raum“, der „Neuen Medienkunst“ sowie der „Multimedia Kunst“. Der Frage, ob die kreative frühe Phase von Netzkunst vielleicht schon wieder vorbei sei, stellt sich die letztgenannte Präsentation, die unter anderem Matthew Fuller von der politisch aktiven britischen Künstlergruppe Mongrel zur Diskussion geladen hat.
Auch die anderen Themen des Festivals sprechen von der Dominanz des Netzes und der digitalen Technologien. In verschiedenen Präsentationen wird es um die Möglichkeiten des Streaming von Audio und Video, um Spiele im Netz und um digitale Kameras gehen. Letztere ermöglichen jungen Filmemachern, ohne große Budgets Spielfilme zu drehen. Digitale Formate eröffnen gleichzeitig völlig neue Räume, indem die Kamera nicht mehr zum Auge, sondern zum Scanner des Regisseurs wird. Die Nachbearbeitung am Rechner wird dabei immer wichtiger.
„Ferment“, ein Kurzfilm des Briten Tim Macmillan, schafft so etwa eine neue Ästhetik des Blicks, der an Panoramastills vorbeizieht. Im Gegensatz zu Fotofolgen ermöglicht „Ferment“ dabei aber einen realistischen Einblick, der sich je nach Position verändert und daher einen tatsächlich perspektivisch korrekten Eindruck alltäglicher Szenen in der Stadt vermittelt. Der subjektive Fokus eines Sterbenden gleitet so an Fotoshootings, Menschen in Restaurants, Bauarbeitern und Fußgängerzonenfeuerspuckern vorbei, die wie der Hofstaat Dornröschens von einem Moment zum anderen eingefroren wurden.
Dass Fantasy und Märchen nicht die einzigen Optionen sein müssen, die digitale Technik ermöglicht, vermittelt Stefan Heuslers abstraktes Lichtspiel „Iteration“. Im Stil einer „Sendung mit der Maus“ erklärt „Iteration“ die Schönheit der Mathematik. In Teil eins feiern sich Feedbackschleifen und fraktale Strukturen als poetisches Ballett von Lichtpunkten. Teil zwei liefert die hinter den Lichtspiralen verborgenen Formeln und Funktionen per Video und Computeranimation. „Iteration“ steht damit auch für eine neue Schlichtheit, die angesichts der im letzten Jahrzehnt ad nauseam wiederkehrenden psychedelischen Effektschauen der jeweils neuesten Computertechnik wohltuend wirkt. Durch die Überblendung verschiedener medialer, fiktionaler und dokumentarischer Elemente, durch Dialoge, Geschichten und Gleichnisse versucht sich Avi Mograbi den Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Gründung Israels zu nähern. Die 77-minütige Dokufiktion „Happy Birthday, Mr. Mograbi“ von 1999 erzählt dabei die Geschichte eines Filmprojekts zum Jubiläum, die nie ein Ende finden kann. Auch wenn zahllose Festredner und Tanzgruppen in den dokumentarischen Sequenzen die Nation preisen, bleibt ihre prekäre Lage immer in der gewaltsamen Geschichte der Annexion palestinensischen Landes aufgehoben. So befindet sich auch Mr. Mograbi in der Zwangslage, an eigentlich zwei Filmprojekten arbeiten zu müssen: Für einen palestinensischen Auftraggeber filmt er nebenbei die Überreste alter arabischer Siedlungen als „signs of life lost“.
Humor beweist Mograbi durch die Einbindung einer dritten Geschichte, nämlich der des eigenen Hausbaus. Auch sie muss mit einem historischen Problem zurechtkommen: Im Grundbuch wurde für Mograbi zuviel Land eingetragen, was früher oder später zum Konflikt mit den Nachbarn führen muss.
Neben der Verstärkung durch Gastkuratoren ist dem Festival in diesem Jahr zum zweiten Mal der club transmediale angegliedert, der im Haus des Lehrers am Alexanderplatz stattfinden wird. Das Programm zeigt, dass der Club gerade in Berlin immer mehr zum Ort der Konvergenz von Sound und Video geworden ist. Club transmediale präsentiert jeden Abend internationale und lokale DJs und VJs, dazu Liveshows und Klanginstallationen. Darunter finden sich Labelnächte mit Raster-Noton und dem Elektro Music Department.
Für Videounterstützung sorgen an weiteren Abenden unter anderem Vanish RGB und Visomat Inc. Beide finden sich auch im eigentlichen transmediale-Programm wieder, wenn VJaying als neues Genre am nächsten Freitag um 16 Uhr diskutiert wird. Während in den Anfängen des Kinos Musiker live die Lücke noch nicht erfundener Soundtracks füllten, haben sich heute die Rollen verkehrt: Im Club ist das Auge nicht mehr König der Sinne. Trotzdem haben die Organisatoren des club transmediale auch in diesem Jahr mit ihrem Status als Unterhaltungsbeiprogramm zu kämpfen, das sich in fehlender finanzieller Unterstützung durch die transmediale äußert, wie auf der Pressekonferenz beklagt wurde. Nach altbekanntem Berliner Muster wird der Club zwar als wichtiger Bestandteil anerkannt, bekommt im Festivalkatalog aber nur ein paar Seiten zur Verfügung. So sendet auch der club transmediale die Botschaft an die Basis: Lasst euch von den Institutionen nicht umarmen, Selbstorganisation ist alles.transmediale 2000, vom 11. bis 20. 2., täglich 12 – 24 Uhr, im Podewil, Klosterstraße 68–70; club transmediale, täglich ab 23 Uhr, Haus des Lehrers, Alexanderplatz 4, Programm unter www.transmediale.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen