piwik no script img

■ H.G. HolleinQuivive

Das Büro, in dem ich täglich sitze, hat einen Chef, der darauf achtet, dass seine Mitarbeiter nicht in ihrer Alltagsautomatik erstarren. Deshalb verändert er gelegentlich die Parameter. Etwa die Position des Mülleimers in der Küche. Der steht durchaus schon mal in einer anderen Ecke. Was zur Folge hat, dass der im frühmorgendlichen Halbdämmer routinemäßig dahingeworfene Kaffeefilter auf dem frischgewienerten Fussboden landet. Die anschließende Frage „Ha'm Se noch gar nich' gesehen, dass aufgeräumt is, nee?“ leitet denn auch jedes Mal einen intensiven, wenn auch nicht gerade produktiven Arbeitstag ein. Aufgeräumt sind dann mit Sicherheit auch die „Vorgänge“, sprich die Aktenordner, in den Regalen. Und zwar nach ihrer Rückenbreite. Das macht eben einen abgeschlosseneren Eindruck. Und hält zur Suche nach völlig neuen Zugängen in die Materie an. Auch Stühle, so wird den Mitarbeitern regelmäßig bewiesen, sind keineswegs unverrückbar, sondern bisweilen zu optisch ansprechenden, wenn auch hoffnungslos unpraktischen Ensembles neu arrangiert. So richtig aufgeräumt ist der Chef aber erst, wenn die Putzfrau mitten in der Arbeitszeit ihre Kreise zieht. Dann spannt sich die Staubsaugerschnur in Kniehöhe von der Garderobe durch den Flur die Treppe hinunter, und wehe dem, der ungeschärften Sinnes durch die Gänge strebt. Zur Gefahr von Bein- und anderen Brüchen heißt es dann philosophisch-fröhlich: „Hat alles seinen Preis, alles seinen Preis.“ Erfrischend ist es auch, morgens in ein Büro zu kommen, dessen Farbgebung man vom Vorabend etwa anders in Erinnerung hatte. Zuweilen sitzt mir dann auch gleich noch eine neue Mitarbeiterin gegenüber, die mich ob der Selbstverständlichkeit, mit der ich meinen vermeintlich angestammten Schreibtisch zu okkupieren pflege, misstrauisch-vergrätzt erstmal unter Büro-Macho ablegt. Bis sich herausstellt, dass ich seit heute ein neues Arbeitszimmer habe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen