: Blick zurück und nach vorn
■ Das ökologische Netzwerk Grüne Liga feiert sein zehnjähriges Bestehen. Oliver C. Pfannenstiel, Pressesprecher des Bundesverbandes, zieht Bilanz über die Entwicklung und die Perspektiven der Umweltbewegung in den neuen Bundesländern
Rund 350 Gruppen sind im Netzwerk der Grünen Liga zusammengefasst. Die Mitglieder und Unterstützer der 1990 gegründeten Umweltbewegung leben auch zehn Jahre nach der Wende fast ausschließlich in den fünf neuen Ländern.
taz: Im Laufe ihres zehnjährigen Bestehens hat sich nicht nur die Grüne Liga, sondern auch ihr gesellschaftliches Umfeld stark verändert. Was sind aus heutiger Sicht die bedeutendsten Entwicklungen für das ökologische Netzwerk und seine Arbeit?
Oliver C. Pfannenstiel: Die Verhältnisse in Ostdeutschland haben in den letzten zehn Jahren eine Entwicklung durchgemacht, für die der Westen mehr als dreißig Jahre gebraucht hat. Die Anpassung an den westlichen Konsumstatus hat zu rasanten Veränderungen in den neuen Bundesländern geführt. Diese enorme Dynamik an technischem und wirtschaftlichen „Fortschritt“ produziert eine unüberschaubare Vielfalt von Umweltverschmutzungen und -zerstörungen, die ebenso im globalen Zusammenhang stehen. Damit ist die ostdeutsche Umweltbewegung in nur zehn Jahren konfrontiert worden. In viele Themen wie Gentechnologie, Transrapid oder Ozonloch musste sich die Grüne Liga erst einarbeiten.
Inwiefern unterscheidet sich heutzutage die Umweltarbeit in den fünf neuen Ländern von den Aktivitäten und Arbeitsbedingungen der ökologischen Bewegung im Westen?
Nennenswert ist vor allem die Tatsache, dass sich das Netzwerk lokal in Basisgruppen verankert hat; sei es in Bürger-Inis, in Umweltbildungseinrichtungen oder Naturschutzgruppen. Unsere Erfolge liegen in den kleinen Schritten, aber die Liste ist lang. Auch wenn wir als größter ostdeutscher Umweltverband nur wenig Aufmerksamkeit in den Medien bekommen, kennen uns die Leute vor Ort. Wir sind dem Netzwerkgedanken und dem basisdemokratischen Ansatz treu geblieben. Viele Verbände fangen klein an und enden als aufgeblähte hierarchische Organisationen. Bei uns steht immer noch der Mensch im Vordergrund. Naturschutz ist für uns ohne soziales Engagement undenkbar. Weiterhin ist unsere Distanz und unser Misstrauen gegenüber ökologisch bedenklichem Sponsoring, großen Konzernen, der Expo 2000 oder einer professionellen Spendenakquise viel größer, als es bei anderen Umweltverbänden der Fall ist. Wir arbeiten als Ostverband unter sehr schwierigen finanziellen Bedingungen.
Innerhalb des Netzwerkes arbeiten die unterschiedlichsten Gruppen und Menschen zusammen; vom Kirchgänger zur Anarchistin und von der Bäuerin bis zum Professor. „Ideologische Grabenkämpfe“, wie sie in den letzten dreißig Jahren im Westen die sozialen Bewegungen zersplittert haben, liegen uns fern. Außerdem haben wir ausschließlich aktive Mitglieder. Wir wollen Mitglieder nicht wie in DDR-Zeiten verwalten, sondern arbeiten gemeinsam mit den Menschen vor Ort.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Organisationen wie BUND oder Nabu in der Praxis? Gibt es Anknüpfungspunkte, Koordinierungsbedarf?
Es gibt in einigen Projekten Schnittpunkte mit den anderen Verbänden. Die Zusammenarbeit findet vor Ort und nicht auf der „Funktionärsebene“ statt. So
ist zum Beispiel der Berliner Nabu Mitglied bei der Grünen Liga Berlin e.V. Wir sitzen mit anderen Verbänden im Havelbündnis. Unsere Bundeskontaktstelle Regionale Nachhaltige Entwicklung arbeitet mit dem WWF eng zusammen, und ab und zu gibt unser Bundesverband gemeinsame Pressemitteilungen mit BUND, Nabu und WWF heraus. Leider beziehen sich die Medien meistens nur auf die „großen Westverbände“.
Welche Perspektiven hat Umweltarbeit heute regional und international?
Natürlich sind wir als Grüne Liga bestrebt, unsere Arbeit auszubauen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und einer Politikverdrossenheit stehen wir in den neuen Bundesländern vor einer großen Aufgabe, die die westliche Umweltbewegung bereits vor zwanzig Jahren zu bewältigen hatte – mehr gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen und dadurch den Wirkungsradius zu vergrößern.
Vor der Wendezeit waren Umweltinformationen und ökologisches Engagement tabu. Nach der Wendezeit gab es eine große Aufbruchstimmung, sich politisch zu engagieren. Heute sind viele Menschen arbeitslos, verlangen noch mehr Konsum und wollen nicht wahrhaben, dass die Wende vielen nicht die versprochene „Erlösung“ gegeben hat. Die Abkehr von der Politik und damit auch von Umweltthemen ist eine Folge hiervon. Die internationalen Verflechtungen und Verantwortungen der hiesigen Verhältnisse überfordern uns schlichtweg. Punktuell schließen wir uns Kampagnen zum Beispiel gegen Staudammprojekte, AKW-Exporte und Gentechnik an. Unsere Perspektive ist, die Menschen zum Mitmachen anzuregen und hierarchiefreie, ökologische Lebensformen auszuprobieren.
Spielt speziell für die Grüne Liga der Kontakt zu Umweltschutzorganisationen in Ostmitteleuropa eine herausragende Rolle?
Ja. Schon vor der Wende bestanden Kontakte in die osteuropäischen Staaten, die in den letzten zehn Jahren ausgebaut wurden. Nun geht es um Kooperationen in Städtepartnerschaften. Konkret bieten wir Umweltberatung an, veranstalten zusammen mit polnischen und lettischen Organisationen Umweltcamps und helfen, beispielsweise bei der EU Fördermittel für ökologisch sinnvolle Projekte zu bekommen.
Die Grüne Liga besitzt eigens eine Bundeskontaktstelle Internationale Arbeit, die die „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ koordiniert und durchführt. Seit 1999 arbeitet sie zum Thema „Umweltpolitik in Europa“ verstärkt mit der EU-Koordination des Deutschen Naturschutzrings zusammen. Wir haben begonnen, mit regelmäßigen Publikationen über relevante umweltpolitische Entwicklungen auf EU-Ebene und erwartete Konsequenzen für die Kandidatenländer im Erweiterungsprozess zu informieren. So sollen diesbezügliche Aktivitäten der deutschen Umweltverbände unterstützt werden.
Interview: Lars Klaaßen
Die Publikation „10 Jahre Umweltbewegung in den Neuen Bundesländern“ kann gegen Porto kostenlos in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen Liga bezogen werden. Telefon: (030) 204 47 45.
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