: Gier, Geiz – und keine zärtlichen Ingenieure
■ Im Wochenabstand kommt in Deutschland ein neuer Wirtschaftstitel an die Kioske. Bei den Anleger-Magazinen regiert der pure Optimismus, und solange die Börse brummt, haben alle im Markt Platz ■ Von Lorenz Redicker
Noch nie war es so einfach, reich zu werden.
Die Aktienmärkte brummen, die Kurse steigen. Und jeder kann mitmachen. Nicht der Sozialismus, die Börse ermöglicht den Eintritt in das Reich der Freiheit, klärt uns die Telebörse auf. Wer Aktien kauft, will informiert sein, muss informiert sein. Deshalb gibt es Wirtschaftsmagazine. Dieser Markt brummt noch mehr als die Börse, immer neue Titel verstopfen die Kioske.
Einst war es leicht, die Übersicht zu behalten: Gruner + Jahr (G + J) gaben Capital, Börse Online und das Mittelstandsmagazin Impulse heraus, die Verlagsgruppe Handelsblatt die Wirtschaftswoche und DM, der Spiegel-Verlag das manager magazin. Dazu gab es noch den Effecten Spiegel und Cash – das war’s auch schon. Jetzt wird es eng im Zeitschriftenregal. Längst nicht mehr neu sind bizz (G + J) und Junge Karriere (Handelsblatt), Euro am Sonntag (Springer/Finanzenverlag), Geldidee (Bauer) oder das zeitgeistig-begeisterte Econy (anfangs Spiegel-Verlag, heute Verlag für Wirtschaftspresse VFW). Noch relativ neu sind brand eins (Eigenverlag), Telebörse (Handelsblatt/n-tv) und Net Business (Milchstraße). Doch morgen sind die auch schon von gestern, neu sind dann Focus Money (Burda) und Aktienresearch (Springer), die wöchentlich dem Privatanleger unter die Arme greifen sollen. Vollständig ist die Liste übrigens nicht.
Noch nie war es so einfach, reich zu werden.
100 Millionen Mark investieren die Verlage allein in diesem Jahr, schätzt das Fachblatt Horizont. In neue Wirtschaftsblätter und in alte, die relauncht, sprich: aufgepeppt werden. Aber die Verlage verdienen dennoch: Auch wenn es immer mehr werden – die Hefte finden reißend Absatz, alte wie neue. Platzhirsch ist immer noch Capital, das bisher an die 300.000 Exemplare jeden Monat verkauft hat. Jetzt erscheint das Blatt alle zwei Wochen. Nur so, wird dem Leser erklärt, könne man mit dem Siegeszug des Internet und derGlobalisierung der Märkte Schritt halten. Shooting Star der Branche ist Börse Online, das seine Auflage binnen drei Jahren verdreifacht hat und jetzt über 250.000 Hefte pro Woche verkauft. Und auch andere Etablierte wie DM (200.000), Impulse (140.000) oder das manager magazin (120.000) freuen sich über steigende Auflagen.
Erfolg haben vor allem Anleger-Magazine. Je mehr Nutzwert, je mehr Börsentipps, desto höher die Auflage. Geldidee (180.000), Euro am Sonntag (110.000) oder Der Aktionär (100.000) haben so schnell ihren Platz gefunden. Schwerer haben es die Magazine, die Nischen besetzen, wie etwa Econy oder brand eins (mit der kompletten ehemaligen Econy-Redaktion). Beide wenden sich an die neue Gründergeneration. Hier finden sich nicht Informationen zum finnischen Börsen-Highflyer Nokia, sondern Essays über „Finnlands zärtliche Ingenieure“ oder die „Zukunft des Konsums“. Branchenexperten zweifeln allerdings, ob es für solche Themen einen ausreichend großen Markt gibt, und geben den hochgelobten Blättern nur wenig Überlebenschancen.
Noch nie war es so einfach, reich zu werden.
In schönster Offenheit erklärte im vergangenen Jahr der Chefredakteur von Euro am Sonntag, Frank-Bernhard Werner, jungen Wirtschaftsjournalisten, um was es in seinem Magazin geht: „Nicht den Geiz, die Gier der Leser wollen wir ansprechen. Es geht nicht darum, ein paar Pfennige beim Telefonieren zu sparen, sondern um die Frage: Wie werde ich möglichst schnell reich?“ Doch nicht nur Euro am Sonntag spricht die Gier der Käufer an. „Reich mit Fonds“, „Reich mit Aktien“, „Reich in Rente“ –die Botschaft ist eindeutig: Wer reich werden will, muss Aktien kaufen. Die Börse ist das Maß aller Dinge. Wer am Aktienmarkt gewinnt, ist sexy. Die Popstars des Börsenzeitalters heißen Bill Gates oder – in seiner deutschen Miniaturausgabe – Thomas Haffa, mit seinem Medienunternehmen EM.TV Kleinanleger zu Millionären gemacht hat – und sich selbst milliardenschwer.
Noch nie war es so einfach, reich zu werden.
Zu Ikonen der neuen Zeit haben sich auch Analysten und Journalisten entwickelt. Der Marcel Reif des Wirtschaftsjournalismus heißt Friedhelm Busch, der für n-tv das Auf und Ab an der Frankfurter Börse deutet. So wie Marcel Reif vielen Fußballfans längst vertrauter ist als manch aktueller Nationalspieler, so ist auch Busch bei Börsianern bekannter als viele Unternehmenschefs. Doch auch viele andere Wirtschaftsjournalisten verdienen gut am Boom der Magazine, zumal die Tageszeitungen ebenfalls kräftig geholfen haben, den Markt leer zu fegen. Skurrile Folge: Das Euro-Wirtschaftsmagazin wurde im Dezember eingestellt, weil die Redakteure fehlten. So heißt es jedenfalls im Verlag: „Die wurden uns ständig abgeworben.“ Logische Folge: Die Gehälter sind kräftig gestiegen.
Noch nie war es so einfach, reich zu werden.
Am besten verkaufen sich steigende Kurse. Und weil die Kurse seit Jahren steigen, verkaufen sich die Hefte glänzend. Auch deshalb wird der Effecten Spiegel des Euro-Gegners und Multi-Millionärs Bolko Hoffmann wohl nie die Verkaufslisten anführen. Das kleine Heftchen, das aussieht wie eine Schülerzeitung, stuft allzu oft Aktien als kräftig überteuert ein, mahnt zur Besonnenheit und rät vom Kauf ab.
Ansonsten regiert in den Anleger-Magazinen der pure Optimismus. Die Telebörse stuft Gewinnchancen nach Risikofreude ein: 100%, 50%, 20% oder 10% (mit Anleihen, nicht mit Aktien). Kaufempfehlungen überwiegen, Kurseinbrüche werden stets als günstige Gelegenheit gedeutet. In einem sind sich sowieso alle einig: Langfristig schlägt das Aktien-Engagement jede andere Geldanlage. Dass das für nennenswerte Zeiträume des vergangenen Jahrhunderts nicht gegolten hat, wird geflissentlich übersehen.
Noch nie war es so einfach, reich zu werden.
Natürlich agieren an den Börsen vor allem diejenigen, die sowieso schon Geld haben. Davon profitieren auch die Wirtschaftsblätter. Denn eine vermögende Leserschaft treibt die Anzeigenpreise nach oben.Der Anzeigenmarkt ist das andere Standbein für den Erfolg der Wirtschaftsmagazine. Geschätzte 500 Millionen Mark spülten Anzeigen in die Kasse der Verlage. Ulrich Witt, Anzeigenleiter der Gruner + Jahr-Wirtschaftspresse, erwartet in diesem Jahr ein Plus von 40 Prozent. Aktionäre wollen schließlich umworben sein, und eine gute Imagepflege kann den Kurs um bis zu 15 Prozent nach oben treiben. Nach dem Vorbild des Telekom-Börsenganges wird nun für jede Neuemission die Werberakete gestartet, aber auch Traditionsunternehmen haben die Bedeutung der Werbung für die Kurse entdeckt. So bedienen die Magazine die Interessen von Aktionären und Aktiengesellschaften gleichermaßen. Eine perfekte Symbiose, der Kreis schließt sich.
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