: Herr Hefelekriegt 2 Minuten
Albert Hefele
Am letzten Mittwoch habe ich mir nach langer, langer Zeit wieder mal ein Fußballländerspiel in voller Länge angeschaut und war mit vollem Herzen bei unserer deutschen Nationalmannschaft und habe ihr den Sieg gewünscht wie nur was. Das war schon ewig nicht mehr der Fall. Erstens, weil es mir schon lange nicht mehr gefällt, wie die deutsche Auswahl spielt, und weil ich mich zweitens nur für Mannschaften begeistern kann, die entweder hohe Spielkultur haben oder wenigstens Herz. Im Idealfall natürlich beides. Die
■ Seit zehn Jahren verachte ich einen holländischen Fußballer mit Inbrunst
unseren haben zurzeit beides nicht. Die Holländer haben zumindest Ersteres. Die können spielen, da beißt die Maus keinen Faden ab, und da kann der Ziege noch so pfeifen wie das Kind im dunklen Walde. Die können spielen, und zwar eine ganze Klasse besser als die unseren. Punkt und Basta. Wer das nicht mitgekriegt hat, der soll sich in Zukunft Synchronschwimmen angucken!
Warum ich dann trotzdem für die schwarz-rot-goldene Auswahl war? Aus rein persönlichen, niederen Motiven. „Rache“, heißt, glaube ich, das passende Wort. Weil es gegen den holländischen Erbfeind ging? Das ist natürlich Blödsinn – welchen Anlass gäbe es zur Rache? In den allermeisten wichtigen Spielen hatten die deutschen Nationalmannschaften das bessere Ende für sich. Nein – ich erwähnte es schon –, persönliche Motive. Seit zehn Jahren verachte ich einen holländischen Fußballer mit Inbrunst und wünsche ihm – auf sportlicher Ebene – alles Schlechte. Wollen Sie raten? Ronald Koeman? Weil er sich damals mit dem Trikot seines deutschen Gegenspielers symbolisch den Hintern gewischt hat? Ohne deutschnational gesinnt zu sein: Witzig war das nicht, und Klasse hatte es schon gar nicht. Auch wenn ich nicht weiß, in welcher Form Koeman unter Deutschland und den Deutschen gelitten hat – wer sich so aufführt, ist mit Sicherheit nur eines: ziemlich blöde und damit nicht der Rede wert. Und – damit auch eine ganz andere Geschichte.
Meine Geschichte beginnt im Juni 1990. Weltmeisterschaft in Italien. Achtelfinale Deutschland–Holland. Koeman war auch dabei und schoss sogar das Tor zum 1:2, führte sich ansonsten aber gut. Zur Hassfigur meiner Wahl brachte es ein anderer: Frank Rijkaard. Sie wissen schon – das Lama. Vielleicht hätte ich ihn längst vergessen, aber – es gibt ihn immer noch – und immer noch in wichtiger Position. Heute ist er Bondscoach der Holländer und anlässlich dieser oder jener Pressekonferenz zu sehen.
Und wenn er auf eine ganz bestimmte Art und Weise die Augenbrauen lüpft und die Augendeckel hängen lässt – ein „Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt ...“-Gesicht, dann erinnert mich das immer noch fatal an die berühmte Szene von 1990, als er Rudi Völler bespuckte, als dieser ihm den Rücken drehte und wegging. Der blitzschnelle Blick nach dem Schiri und dann die weiße Schleimspur auf Völlers Minipli. Der erst eine Sekunde später realisierte, dass irgendwas war und seinen Hinterkopf betastete und die Nässe fühlend begriff: Der hat mich angespuckt. Und völlig perplex ein Bild absoluter Ambivalenz bot. Völlige Ratlosigkeit im Angesicht einer außerordentlichen Hinterfotzigkeit, die einen anständigen Menschen hilflos macht. Denn: Wie soll man einer solchen Situation adäquat begegnen, noch dazu, wenn man anschließend unschuldig vom Platz fliegt? Heulend zum Schiedsrichter rennen? Dem anderen die Zähne einschlagen?
Damals habe ich Rudi Völler fast einen Moment lang verachtet. Weil: wenn schon vom Platz, dann nicht, ohne noch rasch dem Sportskameraden Rijkaard die Löffel ordentlich lang zu ziehen. Später war mir klar, dass Ruuudiii gehandelt hat wie ein Profi. Wenn er Rijkaard eine reingesemmelt hätte, wäre nämlich die WM für ihn beendet gewesen. Darum hat er sich zusammengerissen und ist stumm vom Platz marschiert. Zusammen mit dem feixenden Lama Frank. Den ich seitdem und so lange mein Lämpchen glüht, aus tiefstem Herzen verachte und der bei mir – so viel ist sicher – keinen Fuß mehr auf den Boden bringt.
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