: Wertvolle Sachpreise statt Kamellen
Die Rheinländer verlassen in diesen tollen Tagen die preußische Hauptstadt in Scharen. Die Urlaubspläne sind genauso voll wie die Sonderzüge. Dabei haben die Berliner eine eigene, wenn auch kleine Karnevalstradition
Ausgerechnet dem karnevalstollen Rheinland verdankt das preußische Berlin einen Guinness-Buch-verdächtigen Rekord: Nach Hauptstadt- und Regierungsumzug wurde vor wenigen Tagen mit „die kleine kölner e .V. Berlin 1999“, der wohl jüngste Karnevalsverein des Landes gegründet. Gründungsort, wie kann es anders sein, war die rheinische Hochburg „STäV“, das Lokal, in dem Bonner ihr Heimweh im Kölsch ertränken. Zwar waren nur acht Hanseln da, doch ein Anfang inclusive Schunkelkurs ist gemacht, sind die Unverbesserlichen überzeugt.
Zuvor war den Neu-Berlinern übel mitgespielt worden. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) ließ sie wissen, dass es keinen Karneval im Reichstag geben werde. Begründung: Er sei Preuße und habe mit Karneval nichts am Hut. So mussten die rheinischen Frohnaturen ihre Krawatten auf einer Fastnachtsparty für Bundestagsbedienstete in der kargen Bundestagskantine in einem DDR-Plattenbau beschneiden lassen, wo mehr Journalisten als Karnevalisten zugegen waren. Doch Vize-Personalratschef Georg Appel, der immerhin zehn Bonner ausgemacht hatte, lässt sich nicht entmutigen. „Wir werden Berlin aufs rheinische Level bringen“, verkündet er vollmundig.
Von der hohen Urlaubsquote in diesen Tagen und der regen Inanspruchnahme der eigens geänderten Flug- und Zugverbindungen für Bonn-Berlin-Pendler lässt er sich nicht entmutigen. Thierse indes hat pünktlich zur Weiberfastnacht einen Versuch der Annäherung unternommen. In einem Zeitungsartikel äußerte er sich zu der „augenzwinkernden katholischen Tradition“, die dem „ernsthaften Protestantismus eher fremd ist“. Er lässt die vergnatzten Narren wissen, dass Humor nicht nur im Karneval „ein „nützliches Ventil“ sei.
Karneval in Berlin ist in erster Linie STäV. So wird die rheinische Trotzburg zusammen mit dem Prinzenpaar „Harald I“ und „Martina I“ heute im größten Ostberliner Kaufhaus, dem „Kaufhof Galeria“ am Alexanderplatz, eine „Karnevalsveranstaltung“ veranstalten. Dauer: eine Stunde. Auch wenn am Rosenmontag die Berliner Architektenkammer unter der Überschrift „Psssssssst, Karneval in Berlin“ den Beweis antreten will, „dass der politische Karneval an der Spree zur zivilisatorischen Reife findet“, darf die STäV nicht fehlen. Statt „Schunkelzwang“ und „nostalgischen Gesprächen, warum es am Rhein so schön war“, wird es Kölsch und rheinische Küche geben. Diese wird eine Symbiose mit Spreewaldgurken, Aspik in Gelee und „Architekten ohne Plan“ eingehen. Für Rosenmontag hat die StäV eine Diskothek in Ostberlin gemietet. Die Bonner hoffen, damit „zum weiteren Zusammenfeiern von Rheinländern und Berlinern beizutragen“. Wie das geht, machen sie in der Vorankündigung vor, wo sie in Anlehnung an Bonner „Berlinner“ schreiben.
Dabei können die Berliner Fasching mehr als nur buchstabieren. Immerhin zählt der Berlin-Brandenburgische Karnevalsverband 120 Vereine. Nur feiern die Preußen eben anders und nehmen es auch mit den Tagen nicht so genau. Weil der Rosenmontag ein normaler Arbeitstag ist, steigt schon am Sonntag im Arbeiterbezirk Wedding eine „Große Faschingsfete auf dem Eis“. Statt oller Kamellen gibt es „wieder wertvolle Sachgegenstände und Spielzeuge“ für die Beantwortung einer Preisfrage. Auch der eine oder andere Bezirksbürgermeister hat den Rathausschlüssel den Narren übergeben. Walter Kassin, Präsident des Berlin-Brandenburgischen Karnevalsverbandes, versteht das Schielen gen Rheinland nicht. „Warum orientiert ihr euch immer am Rhein?“, fragt er seine Berliner Kollegen und verweist auf „die schönen Berliner Lieder mit ihren flotten Rhythmen“. Reinhard Muß vom Berliner Landesverband indes bedauert, dass die Rheinländer „ihre eigene Suppe kochen“ statt „uns hier zu unterstützen“. Seit zwei Jahren lässt er sich nicht mehr zum Karneval im Rheinland blicken. „Wir müssen hier was tun“, sagt er.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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