piwik no script img

Intellekt statt Sex

Freiheit schlägt zurück: „labor G.RAS“ mit „temporary stories“ auf Kampnagel  ■ Von Michael Dißmeier

Ein Mann, dessen Atem sich nach einem heftigen Kampf gerade erst etwas beruhigt hat, legt sich, flach mit dem Bauch nach unten, auf den schwarzen Boden. Die Frau, um deren Blicke und Berührungen sein Kampf kreiste, nähert sich emotionslos. Es ist nicht zu erkennen, ob sie sich für ihn interessiert, selbst nicht, als sie sich auf ihn legt, – mit ihrem Rücken auf seinen Rücken. Die Tänzer des labor G.RAS desillusionieren. Sie glauben nicht daran, dass Menschen das Tier mit den zwei Rücken bilden wollen, um zwei einsame Hälften wieder zu einer Einheit zu machen. Noch nicht einmal einen kleinen Tod lang. In keinem Augenblick gerinnt so etwas wie Glück.

Die drei neuen Choreografien aus Hamburgs Bewegungslabor – zusammen 90 Minuten abstrakter moderner Tanz –, erforschen Räume zwischen heutigen Menschen und finden Armut. Sie wollen mit Distanz spielen und erhalten als Ergebnis, dass Nähe wegen der absoluten Freiheit des Einzelnen nicht möglich ist. Sie sind genau, aber freudlos. Die Charaktere bilden das Tier mit den zwei Bäuchen. Außer unter extremer Sublimierung geht Sex jedoch nicht mit den Bäuchen außen.

Denn Liebe kann nicht Thema von Avantgarde sein. Liebe ist nicht ästhetisch genug. Konvulsion, kantiger Kampf mit den Grenzen des eigenen Körpers, Erschöpfung sind die Themen. Wenn man den Blick des Anderen sucht, wenn man beginnt, Begehren zu empfinden, prallen Welten aufeinander und vernichten sich schon vor dem Kontakt. Skepsis statt Nähe; Intellekt statt Sex.

temporary stories heißt der Abend, der zusammen mit drei Choreografen erarbeitet wurde. Trotz der unterschiedlichen Arbeitsweisen von Rebecca Hilton, David Hernandez und Richard Siegal fügt sich alles auf beeindruckende Weise zu einem ästhetischen Ganzen. Die Tänzer, Susanne Braun, Renate Graziadei und Arthur Stäldi, haben unbedingten Formwillen und den Mut zur rückhaltlosen Recherche auf dem Gebiet abstrakten Bewegungsrepertoires. Dramaturgisch-architektonisch bleibt kein Wunsch offen. Virtuos werden Räume definiert. Klar und kühl wechseln Spannung und Entspannung, Geometrie und organische Formen. Krachende und pfeifende Computer-Klänge im ersten Teil x(angels) you may not have considered, Janis-Joplin- und Elvis-Presley-Sprachzitate in Quietlife sowie Free-Jazz-Gitarren kombiniert mit Texteinspielungen in Quartet – die musikalische Struktur ist extrem anspruchsvoll und nie zuvor gehört. Auch das Licht von Stephan Haller und Michael JIV Wagner ist ein ästhetischer Volltreffer.

Dafür verzichten die drei modernen, fließend lässig gekleideten Tänzer allerdings auf alles, an dem der üble Beigeschmack der Konvention haften könnte. Hautgout-Parameter wie Geschichte, Emotion und Rhythmus werden vermieden, „fragmentiert“. Dadurch öffnet sich der Raum zwischen den Körpern der Tänzer (was auch immer das heißt) und ermöglicht eine beträchtliche Freiheit; die Ebenen der Darstellung werden aufgefächert und vervielfältigt. Die Struktur der Musik steht beispielsweise fast durchweg in Opposition zu der des Tanzes, aus Angst, Hierarchien zwischen den Gattungen entstehen zu lassen. Und die gewonnene Freiheit schlägt zurück: Sie macht müde und hilflos. Durch das Nicht-Benutzen von und damit Nicht-Vertrauen auf erzählerische Parameter entsteht ein inhaltliches Loch. Eine nicht benennbare Emotion bleibt vage; durch sie wird das Publikum nicht mitgerissen. Mitfühlen, sogar Mitwissen wird erschwert; zwischen Darstellern und Publikum befindet sich eine hermetische Wand.

Dadurch wird der Tanz allerdings nicht weniger Kunst. Wer architektonisch ziselierte Dramaturgie und abstrakte Intellektualität zu schätzen weiß, sollte sich diesen Abend ansehen; wer Freude im Theater empfinden möchte, nicht.

noch 10. bis 12. und 15. bis 18. März, 20 Uhr, k1

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen