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modernes antiquariatAuch eine Möglichkeit: Patricia Highsmith’ Berlin-Roman „Der Junge, der Ripley folgte“

WENN DU EINE WEILE FREI SEIN WILLST

Vor dem Boom war auch schon Boom. Wir stellen in unregelmäßigen Abständen Berlin-Romane vor, die vor 1989 erschienen sind.

Die amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith hat vier Ripley-Romane geschrieben. Nummer drei erschien 1980, trägt den Titel „Der Junge, der Ripley folgte“ und ist ein klassischer Berlin-Roman. Die Protagonisten sind allerdings keine Schwaben oder Franken, die aus dem provinziellen Westdeutschland in die Provinz Westberlin entkommen wollen, sondern zwei Amerikaner.

Der eine heißt Frank Pierson und ist 16 Jahre alt. Er hat zu Hause etwas Scheußliches erlebt und möchte eine Weile in Ruhe gelassen werden: „Nach Jugoslawien“, rät ihm Tom Ripley, der andere Amerikaner, der sich schon seit vielen Jahren vor seiner eigenen Vergangenheit in einem kleinen französischen Dorf versteckt: „Venedig, Rom würde ich dir nicht raten, wenn du noch eine Weile frei sein willst. Berlin wäre auch noch eine Möglichkeit.“

Tom Ripley, das ist der Verbrecher, der nicht nur davonkommt, sondern von seinen Verbrechen auch noch profitiert: „Leute ohne Moral“, hat Patricia Highsmith einmal gesagt, „amüsieren mich.“ Und wenn Tom Ripley nach Berlin fährt, findet er dort naturgemäß am meisten Gefallen an der ausgestellten Amoralität der Westberliner. Er nimmt Frank mit auf die wilde Seite des Lebens, schaut sich mit ihm eine Travestie-Show mit Romy Haag an, zeigt ihm die Lederjungen im Kreuzberger Glad Ass und besucht später noch die Diskothek Hump, wo Tunten an der Theke Dornkaat kippen.

Das Böse lauert bei Highsmith immer dort, wo Berlin nicht wirklich Berlin ist: in Alt-Lübars, zum Beispiel, oder im Grunewald. Ansonsten ist die Stadt in diesem Roman eine einzige schrille und freundliche Travestie. Die Projektionsfläche einer keuschen Liebesgeschichte: Der junge Frank und der elegante Tom sind ein Paar, das sich sein Begehren nicht eingestehen kann und sich stattdessen – getarnt als strictly straight American tourists – am Maskenspiel in den Berliner Schwulendiscos erfreut. „Ich mag diese phantastischen Verrücktheiten“, sagt Tom einmal in gestelztem Deutsch.

Erst als Frank in Berlin entführt wird, darf Tom für ihn eine Nacht lang zur Frau werden. Er leiht sich von Max, einem seiner schwulen Berliner Bekannten, einen Fummel, um die Entführer unerkannt zu verfolgen. „Singen Sie doch was“, sagt Tom zu Max, als der ihn schminkt: „Kennen Sie das Lied von dem slick little girl?“

Und Max singt: „Rouge and coloring, incense and ice ...“ – „Make Up“ von Lou Reeds Platte „Transformer“, die als Soundtrack durch den Roman läuft, zuweilen einfach so und schön laut, manchmal in versteckten Zitaten: „Er ist hübsch und weiß es nicht, das ist immer anziehend“, bewundert Tom den schlafenden Frank, bei Lou Reed heißt es, einfacher: „Your face when sleeping is sublime.“ Dass sich zum tragischen Ende der traurigen Liebesgeschichte zwischen Tom und Frank die zweite Seite von „Transformer“ auf einem Plattenspieler nicht weit von New York entfernt dreht, uh, what a surprise: „satellite's gone ... up to the skies ...“

Zwischen den Rillen ist schon die nächste Erzählung angelegt. 1973, ein Jahr nach „Transformer“, erschien Lou Reeds LP „Berlin“ – darauf ein Spiel mit den Masken westeuropäischer Décadence, aufgeführt am äußersten Rand des Territoriums: „In Berlin by the wall, you were five foot, ten inches tall, it was very nice, candlelight and Dubonnet on ice ...“ Auch eine traurige Liebesgeschichte, mit einer Stadt, in einer Stadt. Auch ein: Berlin-Roman.

KOLJA MENSING

Patricia Highsmith: „Der Junge, der Ripley folgte“. Diogenes, Zürich 1982, 494 Seiten, 19,90 DM

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