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Arroganz der Macht

Mit Bush und Gore haben sich bei den Vorwahlen in den USA erneut Kandidaten des Establishments durchgesetzt. Außenseiter haben kaum eine Chance. Für Europa bleibt alles wie gehabt

von CLAUS LEGGEWIE

Der vorgezogene „Superdienstag“ hat bereits Monate vor den Nominierungsparteitagen entschieden, wer die Bewerber der beiden großen Parteien um die Präsidentschaft sein werden: Der Präsidentensohn George W. Bush wird den Vizepräsidenten Al Gore herausfordern. Damit treten zwei in unmittelbarer Nähe des Weißen Hauses sozialisierte Vertreter der politischen Klasse gegeneinander an. In Umfragen, die bisher noch wenig aussagekräftig sind, liegt Bush knapp vor Gore; ein Kopf-an-Kopf-Rennen über neun Monate zeichnet sich ab. Für den konservativen Texaner spricht, dass die Demokraten sonst eine dritte Amtsperiode hintereinander anvertraut bekämen – und das entgegen der republikanischen Kongressmehrmeit und der konservativen Grundstimmung im Land. Gegen Bush spricht aber ein anderes „Gesetz“ der amerikanischen Politik: Eine Administration ist schwer abzulösen, die so brillante Wirtschaftsdaten vorzuweisen hat wie das Team Clinton/Gore.

Nicht zufällig sind Bush und Gore die Söhne hochrangiger PolItiker

„Bush gegen Gore“ tippten die Experten schon vor einem Jahr. Wie üblich haben politische Erfahrung und finanzielle Ressourcen den Ausschlag gegeben. Beide Etablierten genießen Unterstützung durch das Establishment ihrer Parteien und verfügen über die am besten gefüllte „Kriegskasse“. Das bestätigt die Hypothese einer neoaristokratischen, quasidynastischen Schließung des politischen Systems der Vereinigten Staaten, indem nicht zufällig Söhne zweier hochrangiger Politiker deren Nachfolge antreten wollen. Gore junior war, wie sein Vater, Senator und außerdem vier Jahre zweiter Mann im Weißen Haus; Bush junior ist Gouverneur von Texas, einem der bedeutendsten Staaten der USA: Das sind die üblichen Wege, um amerikanischer Präsident zu werden. Allerdings muss man – wie beide – auch aus den Südstaaten sein.

Aus dem Süden stammt auch der republikanische Herausforderer John McCain; er stellte für Bush eine echte Herausforderung dar – und könnte „W’s“ Wahlchancen auf Dauer erheblich gemindert haben. „W“, das Mittelinitial des Bush junior, hatte in seinem bisherigen Leben, außer bei seiner Wiederwahl 1998, keine einzige echte Herausforderung zu bestehen. Er ist damit die Fleisch gewordene Widerlegung der Meritokratie – des in den USA verbal hochgehaltenen Leistungsprinzips. Nicht einmal, dass er kräftig aus der Bourbon-Flasche inhaliert haben und clean geworden sein soll, hat ihm Ecken und Kanten gegeben. 70 Millionen Dollar Wahlkampfunterstützung sind ihm in den Schoß gefallen, und er hat sie bereits mit vollen Händen verpulvert, als es knapp zu werden drohte gegen den Außenseiter aus Arizona.

Der Wahlkampf wird alle Finanzrekorde der Vergangenheit übersteigen

Knapp wird es auch gegen den halben Amtsinhaber, der den notorischen Dollar-Rückstand der Demokraten mit so genanntem soft money (indirekten Parteispenden, an denen er sich schon 1996 die Finger verbrannt hat) kompensieren wird. Was immer die programmatischen Akzente sein mögen, der Wahlkampf wird alle Finanzrekorde übersteigen und allein deshalb Millionen von Amerikanern enttäuschen. Aber bereits jetzt hat Al Gore eine Eigenschaft seines Freundes Bill im Weißen Haus (von dem er sich nach der Lewinsky-Affäre vorsichtig absetzte) unter Beweis gestellt: ein Comeback-Kid zu sein. Letzten Herbst schien er stehend k. o. – ein langweiliger Kandidat ohne mitreißende Rhetorik und ohne solides Programm. Zu dem Zeitpunkt hielten sich „unterhaltsamere“ Prätendenten bereit, denen man in den guten alten Zeiten (vor Nixon und Watergate) keinen Gebrauchtwagen abgekauft hätte: der ehemalige Profi-Catcher Jesse Ventura und der noch unsäglichere New Yorker Immobilienhai und Kasinobesitzer Donald Trump.

Beide verkörperten größtmögliche Distanz zu „Washington“ und die nahe liegenden Ambitionen der „celebrities“ aus der Medien- und Unterhaltungsbranche, selbst in die politische Elite vorzudringen. Al Gore hingegen steht für die Rückkehr eines gewissen Ernstes in die amerikanische Politik und das Durchwurschteln durch die neue Unübersichtlichkeit. Der Vizepräsident, der sich seiner Technologiepolitik („Vater des Internets“) und seiner vergangenen umweltpolitischen Ambitionen rühmt, steht für einen neuerlichen Anlauf in der Gesundheitsreform. Dafür möchte Gore einen Teil der Haushaltsüberschüsse verwenden, die der republikanisch beherrschte Kongress und Bush vor allem in Rüstungsprogramme, Autobahnbau und Steuererleichterungen stecken wollen.

Das ist es wohl, was sich hinter dem diffusen Versprechen „mitfühlenden Konservatismus“ verbirgt, für den Bush junior einstehen möchte. Der Gouverneur des Staates, in dem die Todesstrafe am konsequentesten verhängt und exekutiert wird, ist während seiner Auseinandersetzung mit McCain in den Standardfehler aller republikanischer Kandidaten seit Ronald Reagan verfallen, obwohl seinen Vater 1992 das die Wiederwahl gekostet hatte: Er hat sich in die Hände der christlichen Rechten begeben, die landesweit in der Minderheit sind, in der Grand Old Party der Republikaner aber immer noch eine beachtliche Sperrminorität darstellen. Von rechts außen muss er nun in die Mitte der Partei (für die Lincoln, Teddy Roosevelt, Rockefeller und Bush senoir stehen) und vor allem der Nation zurückschwimmen, die McCain weit besser repräsentiert.

Die amerikanische Außenpolitik wird weiter die Arroganz der Macht pflegen

Dort sind auch die unabhängigen Wähler zu suchen, die von beiden Parteien gleich weit entfernt und von der Politikerpolitik enttäuscht sind. Zweimal schon hat der texanische Millionär Ross Perot dieses heterogene Wählerpotenzial für sich und seine Reform Party mobilisieren können; in den diesjährigen Vorwahlen war es McCain. Das absehbare Duell könnte sogar zum Dreikampf werden, wenn der populäre McCain eine Kandidatur für die Reform Partei erwöge oder diese einen anderen zugkräftigen Kandidaten präsentierte, der nicht (wie bislang) Pat Buchanan heißt und rechts außen steht. Die Reform Party ist „a mess“ (ein Sauladen), aber Strippenzieher Perot und das mittlerweile ungefähr 15 bis 20 Prozent der Bürger umfassende Elektorat der Unabhängigen sind für eine Überraschung gut.

Wahlsoziologisch wird in diesem Jahr entscheidend sein, ob sich der „gender gap“ noch weiter öffnet, ob Frauen also, wie jetzt in den Vorwahlen, den Ausschlag für Gore geben. Eine andere strategische Gruppe könnten, da die große Mehrheit der Schwarzen wohl weiterhin demokratisch wählt, die „Hispanics“‘ werden; die spanischsprachigen Einwanderer, rund zehn Prozent der Wählerschaft, haben aber an der amerikanischen Politik bisher wenig aktives Interesse gezeigt. Das gilt, leider, auch für Erst- und Jungwähler der Generation@, von denen sich bei der letzten Präsidentschaftswahl weniger als ein Drittel an die Wahlcomputer bequemte. Für die amerikanische Außenpolitik, also Deutschland und Europa, macht es jedoch keinen großen Unterschied, ob Bush oder Gore obsiegen. Beide werden die Arroganz der Macht weiter pflegen.

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