standbild : Alte Scheunen
„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, So., 12. März, Sat.1
Gertrud fährt Taxi in Köln. Sie ist „nicht Trommelstock, aber auch nicht Tonne“, sagt das alte Mädchen über sich selbst. Zählt über fünfzig Lenze und sucht jemanden „für ins Bett“. So einfach ist das, warum auch nicht, machen wir uns mal nichts vor. In einem Café trifft sie dann ihren „wilden Stier“ aus der Kontaktanzeige, einen lüsternen Peter-Strohm-Wiedergänger mit ähnlichen Ambitionen. „Wenn alte Scheunen brennen, was?“, zwinkert er der Gertrud zu, doch die Gertrud will bald zahlen.
Wenn ausgemachte Idioten sich selbst in zwischenmenschliche Auffahrunfälle verwickeln, dann heißt das „Talkshow“ und ist in einer halben Stunde erledigt. Die sonntägliche, sechsteilige Doku-Soap „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ lässt sich schon mehr Zeit, seine Opfer auflaufen zu lassen: Neun Singles aus dem Ruhrgebiet lassen sich von Sat.1 bei der Suche nach dem „Partner fürs Leben“ beobachten, „Big Brother“ mit Auslauf und gestellten Szenen: Wer Eindruck schinden will, inszeniert sich gerne. Wenn Kameras draufhalten, inszeniert er sich gleich doppelt, vielleicht sogar dreifach – und eben jenen falschen, aufgesetzten und mehrfach gebrochenen Charakteren dürfen wir nun beim Balzen zuschauen.
Der Reiz? Liegt, wie immer, im Detail. Udo aus Oberhausen sucht am Computer eine kindliche Asiatin. Weil aber die Bilder falsch eingescannt sind, sehen wir Udo und seinen Partnervermittler den Kopf schräg legen – simultan. Wenn er kurz darauf aber nervös auf dem Sofa herumrutscht, weil ihm ein Mädchen, ein Bildchen besonders gut gefallen hat, dann ist sie sofort wieder da, diese unbeteiligte, dafür aber irritierend tiefe Scham angesichts der dargebotenen Dummheit – ein authentisches Gefühl. Und das einzige Pfund, mit dem auf diesem Niveau gewuchert werden kann. Ob nun die „Rubensfigur“ in Truckermagazinen nach dem Traummann fahndet, der grenzdebile Schlagerfreund nach Rosen sich verzehrt oder die alternde Tunte ihre Torschlusspanik in die Kamera gackert: Alle sind sie alte Scheunen, die nur darauf warten, lichterloh in Flammen aufzugehen. Doch weit und breit kein Pyromane. ARNO FRANK
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