: Neuer Geburtstag zählt nicht
EuGH: Die Bundesrepublik hat türkische Arbeitnehmer, die ihr Geburtsdatum nachträglich korrigieren ließen und früher Rente beziehen wollen, nicht diskriminiert
FREIBURG taz ■ Die Bundesrepublik darf die Änderung von Geburtsdaten im Ausland weiter anzweifeln. Eine 1998 eingeführte Regelung zum Schutz der Rentenversicherung verstößt nicht gegen EU-Recht. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Betroffen sind von der Neuregelung vor allem türkische Arbeitnehmer.
Während früher das Geburtsdatum eines Arbeitnehmers nur vereinzelt berichtigt wurde, hat sich dies nach Ansicht der Rentenversicherer in den letzten Jahren zu einem „Massenphänomen“ entwickelt. In den Neunzigerjahren gab es mehr als 5.000 Anträge von türkischen Arbeitnehmern, die ihr Geburtsdatum berichtigen wollen, um früher Rente beziehen zu können. Vorgelegt wurden dabei Gerichtsurteile aus der Türkei, mit denen das dortige Personenstandsregister verändert wurde. Da die türkischen Gerichte in solchen Fragen als wohlwollend und wenig gründlich gelten, entstand der Verdacht, dass es sich hier um Betrugsversuche handele. Seit 1998 muss das geänderte Geburtsdatum von der Rentenversicherung nur dann akzeptiert werden, wenn ein Schreibfehler korrigiert wurde oder wenn beweiskräftige Urkunden – wie über die Zeit des Schulbesuchs – beigebracht werden.
Der EuGH musste nun auf Vorlage des Bundessozialgerichts prüfen, ob türkische Arbeitnehmer durch diese Regelung gegenüber Deutschen diskriminiert werden. Nach dem EU-Assoziationsabkommen mit der Türkei wäre eine solche Diskriminierung unzulässig. Die EU-Kommission stellte sich dabei auf die Seite der Türken und ging von einer Diskriminierung aus. In den „ländlichen Gebieten der Türkei“ werde die Pflicht, ein Kind binnen eines Monats behördlich registrieren zu lassen, oft nicht befolgt. Daher seien Berichtigungen eher erforderlich als im gut verwalteten Deutschland. Die Bundesregierung hielt dagegen, dass die Regelung auch für deutsche Spätaussiedler gelte und daher keine Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit vorliege. Der Gerichtshof stellte sich nun auf die Seite der Bundesregierung. Es könne von ihr nicht verlangt werden, die Besonderheiten des türkischen Personenstandswesens zu berücksichtigen. (Az.: C-102/98 u. a.)
CHRISTIAN RATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen