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Eine Rote Karte statt einer Green Card

Die Ausländerbehörde verhaftete einen Marokkaner, der in Deutschland Informationstechnologie studiert hat und steckte ihn in Abschiebegewahrsam – obwohl er freiwillig ausreisen wollte. Wäre die Green Card von Bundeskanzler Schröder schon da, würde ihn eine Hamburger Firma sofort einstellen

von SONGÜL ÇETINKAYA

Rachid Moutawakkil ist ein Pechvogel. Der 33-Jährige hatte Pech mit einem Anwalt und Pech damit, dass Bundeskanzler Schröder nicht schon eher bekundet hat, dass Deutschland Informationstechnologen wie ihn braucht.

Der Marokkaner bekam 1986 eine Aufenthaltsbewilligung, um in Bochum Informationstechnologie zu studieren. Er studierte und arbeitete am Lehrstuhl für Thermodynamik und Softwaretechnik und beendete Ende vergangenen Jahres sein Studium als diplomierter Elektro- und Softwaretechniker. Ende 1998 zog er nach Berlin-Friedrichshagen zu seiner Adoptivtante. Die Ausländerbehörde gestattete den Umzug, da die Adoptivtante pflegebedürftig war. Mittlerweile ist sie verstorben. Wegen Streitigkeiten in der Familie um das Haus quartierte sich Moutawakkil vorübergehend bei Freunden ein. Gelegentlich fuhr er zu dem Haus, um nach der Post zu sehen.

Durch den Lebensgefährten seiner verstorbenen Adoptivtante erfuhr er Anfang des Jahres, dass Herren, die wie Beamte aussahen, zweimal Erkundigungen nach ihm eingeholt hätten. Weil die Vermutung nahe lag, dass der Besuch von der Ausländerbehörde stammte, wurde Rachid Moutawakkil Mitte Januar von sich aus vorstellig. Bei seinem Besuch wurde sein Personalausweis gegen eine Grenzübertrittsbescheinigung eingetauscht. Das heißt, die Behörde bestand auf dem Vollzug der Ausreisepflicht. „Bringen Sie bei Ihrem nächsten Besuch Ihr Flugticket gleich mit“, sagte man ihm lachend und ohne Begründung. Moutawakkil setzte sich sofort mit seinen Anwalt in Verbindung. Doch dieser beruhigte ihn mit den Worten: „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Für den nächsten Termin bei der Ausländerbehörde sagte der Anwalt seine Begleitung zu.

Doch er erschien nicht, obwohl dies dringend notwendig gewesen wäre. Denn am 10. März wurde Rachid Moutawakkil auf der Ausländerbehörde verhaftet und in Abschiebegewahrsam genommen. Trotz seines vorherigen Besuchs warf man ihm vor, er sei abgetaucht und ausreiseunwillig. Auf die Frage, ob er freiwillig ausreisen wolle, hatte er nachdrücklich mit Ja geantwortet und den 16. des Monats genannt. „Neben meiner Sachbearbeiterin befanden sich weitere vier oder fünf Beamte im Zimmer“, erzählt Moutawakkil in akzentfreiem Deutsch. „Ich hatte den Eindruck, die haben sich schon auf das bevorstehende Spektakel gefreut.“ Fünf Stunden lang verbrachte er ohne Essen, Trinken und Rauchen in einer Polizeiwanne, während weitere „ausreiseunwillige“ Ausländer auf verschiedenen Polizeidirektionen eingesammelt wurden.

Freunde besorgten ihm schließlich einen neuen Anwalt. Dieser bekam folgende Begründung für die Verhaftung seines Mandanten zu hören: Da man Moutawakkil an seinem polizeilich gemeldeten Wohnort in Friedrichshagen nicht angetroffen habe, wurde er abgemeldet und war somit ohne festen Wohnsitz – also „abgetaucht“. Darüber wurde Moutawakkil nicht informiert, als ihm die Grenzübertrittsbescheinigung in die Hand gedrückt wurde.

Nachdem Moutawakkil fünf Tage und sechs Nächte im Abschiebeknast in Köpenick verbracht hat, konnte sein Anwalt vergangenen Mittwoch vor Gericht die Unhaltbarkeit der Vorwürfe gegen ihn deutlich machen. Nun „darf“ Moutawakkil Deutschland bis zum 21. März freiwillig verlassen. Somit wird er nicht abgeschoben und ihm droht keine Einreisesperre.

Vergangenen Donnerstag musste Moutawakkil noch mal zur Ausländerbehörde, um sein Flugticket vorzuzeigen. Dabei traf er auf einen Beamten, der seine Festnahme mit verfolgt hatte. Moutawakkil fragte ihn, warum so viele Leute anwesend gewesen waren. „Es hatte sich herumgesprochen, dass da etwas zu sehen ist, das passiert nicht jeden Tag“, antwortete der Beamte. „Ich wünschte, ich hätte das auf Tonband aufgenommen“, sagt Moutawakkil erheitert, „dann hätte ich ein nettes Andenken.“

Während die Ausländerbehörde Moutawakkil schnellstmöglich loswerden will, sind andere ganz scharf auf Leute wie ihn. Wenn er im Internet unter www.jobpilot.de Elektrotechniker eingibt, findet er täglich an die 50 Angebote. Nach Schätzungen der Industrie- und Handelskammer und der Wirtschaftsverwaltung fehlen allein in Berlin etwa 4.000 Fachleute für Informationstechnologie- und Multimedia-Berufe. Moutawakkil hatte sich bei mehreren Firmen beworben, doch aufgrund seines ungesicherten Aufenthaltstatus fand er keine Anstellung.

Ausnahmen von der Regel werden nur gemacht, wenn eine Arbeitsaufnahme im besonderen öffentlichen Interesse ist. Der potenzielle Arbeitgeber muss eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. In strittigen Fällen wird die Wirtschaftsverwaltung eingeschaltet. Das letzte Wort haben jedoch die Arbeitsämter. Die Ideen- und Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“ aus Hamburg wäre bereit, diesen Weg zu gehen. „Wir suchen dringend nach qualifizierten Leuten im Bereich der Informationstechnologie“, sagt Personalleiter Julian Scholl. „Bei den Voraussetzungen, die Herr Moutawakkil mit sich bringt, sind wir durchaus an ihm interessiert.“

Zunächst muss Moutawakkil jedoch ausreisen. Er ist nun auf den guten Willen der Deutschen Botschaft in Marokko angewiesen. Mit deren Hilfe will er versuchen, eine Arbeitserlaubnis für Deutschland zu bekommen.

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