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Betr.: Berliner Volkskämmerer

Marianne Birthler kam vom Runden Tisch zur Volkskammer und dann nach Potsdam

An der Tür ihres kleinen Büros am Schiffbauerdamm ein Poster: „Die Zeit ist reif – Prenzlauer Berg ’89/90“. Die friedliche DDR-Revolution, ihre große Zeit. Aber Marianne Birthler, Referentin für Personalentwicklung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, schaut nicht mit Wehmut zurück. Und auf die Volkskammer, ihren Einstieg in die Politik, erst recht nicht.

An die „ambivalenten Gefühle“ von damals kann sie sich noch gut erinnern: Einerseits die Freude, dass sich die Bürger der DDR erstmals frei eine politische Vertretung wählen konnten – ein Ziel, auf das sie als Jugendreferentin im Stadtjugendpfarramt von Ost-Berlin und in Oppositionsgruppen hingearbeitet hatte. Andererseits die Enttäuschung, dass ihr Wahlbündnis der Bürgerrechtler so schlecht abschnitt. Als die bürgerlichen Parteien fast die Hälfte aller Stimmen erhielten, sagt Birthler, war das Wie des Einheitsprozesses vorgezeichnet: möglichst rasch und nach BRD-Vorbild.

Immerhin sei es gelungen, für die ostdeutschen Frauen eine Übergangszeit mit dem liberaleren DDR-Abtreibungsrecht zu sichern. Geblieben seien auch die Grundlagen für das heutige Stasi-Unterlagen-Gesetz – „aber die Beispiele purzeln nicht gerade“, gesteht Birthler zu.

Nach der Volkskammerzeit kam sie in den Potsdamer Landtag und wurde Bildungsministerin. Sie trat vom Amt zurück, als Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) in den Geruch der Stasi-Mitarbeit geriet. Insofern schließt sich nun ein Kreis: Mit diesem Thema soll sie wieder zurückkehren in die erste Reihe der Politik – an die Spitze der Gauck-Behörde für Stasi-Unterlagen. Sie gehöre nicht zu denen, die sich immer nur weiter in der DDR-Geschichte suhlen, betont sie. Doch seiner Vergangenheit, das wird klar, kann niemand entfliehen.

PHILIPP GESSLER

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