: Den Delphin frisieren
■ Raúl Ruiz' Film über den Maler Jean Miotte präsentiert sich als Remake der Jazzkeller-Ära Von Roberto Ohrt
Filme über Kunst und insbesondere Filme, die direkt im Atelier die Entstehung von Malerei beobachten, sind merkwürdige Zwitter. In Walter Benjamins berühmten Kunstwerk-Aufsatz findet man das Treffen von Film und Malerei noch zum unvereinbaren Gegensatz verschärft: „Der Maler beobachtet in seiner Arbeit eine natürliche Distanz zum Gegebenen, der Kameramann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegebenheit ein. Die Bilder, die beide davontragen, sind ungeheuer verschieden. Das des Malers ist ein totales, das des Kameramanns ein vielfältig zerstückeltes, dessen Teile sich nach einem neuen Gesetze zusammen finden.“
Diese Bemerkung wurde allerdings geschrieben, lange bevor die berühmten Filme der 50er Jahre über Maler im Atelier entstanden: Hans Namuths Film mit Jackson Pollock zum Beispiel, oder Henri-Georges Clouzots Le mystère Picasso. Angesichts der Thesen aus den 30er Jahren wirken die beiden Filme wie der unlautere Versuch einer Widerlegung. Sie durchmischen ein wenig zu buchstäblich, was Benjamin auseinanderhalten wollte, und transportieren die Effekte der alten Kunst durch das Zelluloid dorthin, wo Benjamin einen Unterschied zwischen Film- und Malerleinwand sah: Im Kinosaal würden die Reaktionen des Publikums auf die Ereignisse eines Films ein Kollektiv formen, wie es vor einem Kunstwerk nicht entstehen könne. Maler und Kameramann haben in beiden Fällen die anderen Anforderungen des Mediums offensichtlich gespürt, denn sie achteten darauf, dass den Kinobesuchern ein Reichtum an Erfindungen und Überraschungen geboten wird, der es mit den üblichen Filmen aufnehmen kann.
Wie groß die Herausforderung des anderen Mediums für die Malerei blieb, sollte sich in den 50er Jahren auch daran zeigen, dass Aktionsmomente in der Kunst eine überragende Bedeutung erlangten. Das Jahrzehnt der informellen Malerei stand ganz und gar im Zeichen der Geste; es verlangte nach Beweisen für die virtuose Fähigkeit der Künstler im Umgang mit mit dem Stoff, drängte sie dazu, trieb die Akteure schließlich sogar aus dem Medium hinaus: Georges Mathieu inszenierte sein Malen als theatralischen Akt vor großem Publikum; die Wiener Aktionisten ließen das Materialereignis im Keller und an der Ekelgrenze eskalieren.
Raúl Ruiz' Jean Miotte vu par Raúl Ruiz über den französischen Maler Jean Miotte wirkt angesichts einer nun schon über 40 Jahre zurückliegenden Entwicklung wie die Wiederaufführung eines klassischen Konzerts, das seine ehemaligen Zumutungen mit großer Sorgfalt fürs Detail und im Bewusstsein hoher Gäste vorspielt. Zwar dokumentiert der Film die Entstehung von Werken aus den 90er Jahren, aber die Welt des Ateliers präsentiert sich wie das farbige Remake eines semidokumentarischen Schwarzweiß-Films aus der Epoche der Jazz-Keller, wenn auch die Suche nach Impressionen im Großstadtdschungel in die Natur des Gartens vor dem Landhaus führt: Entsprechend gepflegt klingt dann auch der Kunstjazz.
Auch die Kameraexperimente – wenn etwa die Beobachtung des Malens auf dem Pinsel montiert aus Nahsicht nachvollzogen wird – konstruieren eine der Geschichte enthobene Wirklichkeit, die ihr Vorbild in den 50er Jahren hat. Die Malerei selbst bietet ihre museale Stimmung rigoros ungegenständlich, in großen Formaten, und ihr Maler verhält sich vor der Leinwand, als müsse er im Moment des Kontaktes irgendeine Hektik verbergen oder einen Delphin frisieren.
Irgendwann hört man sogar einige Bemerkungen von ihm, vom Kampf ums Gelingen der Bilder, was nicht weiter verwundert, denn immerhin ist die Kamera anwesend, und man kann sich vorstellen, dass sie stört. Ansonsten begnügt der Film sich mit Klängen und Geräuschen, zu denen auch das Schnaufen des Künstlers gehört – er bleibt also weitgehend sprachlos. Für eine Diskussion über Kunst ist er ebenso aufschlussreich wie nutzlos. Als wiederaufbereitete Version einer vergangenen Epoche zeigt er zwar ein real existierendes, aber gleichermaßen ungeschichtliches Präparat der Farbe oder eines Künstlers. Wer nach Möglichkeiten der Malerei in unserer Zeit sucht, findet eine eindrucksvolle, allerdings etwas zu reichhaltige Sammlung von Fehlern.
heute, Abaton, 18 Uhr; anschließend Podiumsdiskussion, Staats- und Universitätsbibliothek, 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen