: Der Ortskommandant
Mit seiner Biografie als Stasi-Spitzel verschaffte sich Günter Schachtschneider Zugang zum radikalen Umfeld der PDS – im Auftrag des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz
von ANDREAS SPANNBAUER
Eine fundierte Ausbildung ist nie umsonst. Günter Schachtschneider dürfte sich dieser Tatsache bewusst sein. Der 46-Jährige hat ein besonderes Handwerk erlernt: die Beobachtung und Bekämpfung von Oppositionsbewegungen. Sein Lehrherr hieß Erich Mielke, sein Ausbildungsplatz Ministerium für Staatssicherheit. Als Mitglied der Hauptabteilung XX war Schachtschneider für die Bekämpfung der Bürgerrechtsbewegung in der DDR zuständig. Schon mit zwanzig Jahren avancierte er zum Hauptmann der Staatssicherheit, war unter anderem an Hausdurchsuchungen der oppositionellen „Umweltbibliothek“ im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg beteiligt. Die NVA zeichnete den Geheimdienstler mit Verdienstmedaillen in Silber und Bronze aus.
Nach einer Besetzung Westberlins durch die DDR sollte Schachtschneider sogar Stasi-Chef des Westbezirks Wilmersdorf werden. Die Übernahme kam bekanntlich nicht zustande. Doch auch nach der Wende waren Schachtschneiders Qualifikationen gefragt. Statt in Wilmersdorf landete er 1993 im Nachbarbezirk Zehlendorf. Sein Arbeitgeber: das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz. Seine Aufgabe: Observieren der Opposition.
Unter dem Decknamen „Förster“ sollte er ein Auge auf verschiedene Untergruppierungen der PDS werfen. Im Visier der Verfassungsschützer standen die Kommunistische Plattform, die Kommunistische Arbeitsgemeinschaft, der PDS-nahe Verband „Bund der Antifaschisten“, Bezirk Prenzlauer Berg. Selbst zur Landesvorsitzenden der PDS, die im Ostteil der Stadt die stärkste Partei ist, versuchte der Verbindungsmann vorzudringen. Im Mai 1998 wollte er im Wahlkreisbüro von Petra Pau der PDS beitreten. In Paus Umfeld bewegte sich Schachtschneider freilich schon länger – als Mitglied der PDS-nahen Antifa-Gruppe „Bund der Antifaschisten – Die PrenzlbergerInnen“, die sich damals in Paus Büro traf.
Seine DDR-Biografie diente als Eintrittskarte
Als Eintrittskarte in die Gruppierungen am linken Rand der PDS diente Schachtschneider seine DDR-Biografie. Offen bekannte er sich zu seiner Vergangenheit als Stasi-Mitarbeiter. Seinen Genossen vom „Bund der Antifaschisten – Die PrenzlbergerInnen“ (BdA), denen sich Schachtschneider im Auftrag des Verfassungsschutzes Ende 1997 angeschlossen hatte, erzählte er freizügig von seinen Einsätzen als DDR-Agent. Die Top-Quelle prahlte mit dem Besitz der gesammelten Werke von Felix Dserschinski, dem Gründer des Geheimdienstes der UdSSR nach der Oktoberrevolution. Auch sein Zeugnis als Stasi-Mitarbeiter legte er ungeniert vor.
„Gerade weil er so offen mit seiner Vita umgegangen ist, hatte Schachtschneider bei uns einen Stein im Brett“, sagt ein aus dem Westen stammender BdA-Mitarbeiter. Bei einem Besuch im Bezirksamt Prenzlauer Berg zeigte der Agent seinen Observationszielen sogar seinen ehemaligen Arbeitsplatz, in dem heute die Finanzverwaltung des Bezirks residiert. Sein bisweilen ironischer Umgang mit seiner Vergangenheit verschaffte Schachtschneider sogar seinen Spitznamen. Beim BdA hieß er wegen seiner Berufung zum Hauptmann von Wilmersdorf einfach nur der „Ortskommandant“.
Andere Tatsachen verschwieg der V-Mann wohlweislich. Seine Wohnadresse lernten seine Genossen nie kennen. Auch Freunde von Schachtschneider tauchten – mit einer Ausnahme – nie auf. Dafür lamentierte der V-Mann offenbar glaubwürdig über seinen Abstieg vom MfS-Hauptmann in eine Putzkolonne der Berliner Verkehrsbetriebe. „Wir hätten nicht im Traum daran gedacht, dass so jemand für einen West-Geheimdienst arbeiten könnte“, heißt es bitter.
Ein Marxist mit Geldsorgen im Kapitalismus
Aufgefallen war Schachtschneider freilich öfter: durch chronische Geldsorgen. Regelmäßig pumpte er seine Politkollegen an. Und auch sein Geschäftsgebaren war nicht ohne Makel. Schachtschneider handelte mit Computern, die er, wie seine Ex-Genossen berichten, mitunter auf die Adresse einer Briefkastenfirma bestellte, ohne die Rechnungen je zu begleichen.
Vom Kapitalismus hatte der unscheinbare Mann, der mit grauem Jackett und grauer Hose so gar nicht in den flippigen Szenebezirk Prenzlauer Berg passte, ein klares Bild. Fundiert habe sich Schachtschneider an politischen Debatten beteiligt, resümieren seine ehemaligen Genossen vom BdA. „Der hat auf hohem Niveau den Marxismus-Leninismus diskutiert.“ Was die Antifa-Gruppe nicht wusste: Spitzel „Förster“ lieferte seine sauber geschriebenen Protokolle hinterher beim Verfassungsschutz ab.
Beim „Bund der Antifaschisten“, der sich politisch links der PDS verortet und in der Mehrheit aus eher jüngeren Aktivisten besteht, profilierte sich „Förster“ als geschulter Marxist. Bei der „Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft“ der PDS erinnert man sich dagegen eher an einen stillen Mitarbeiter. „Der sah aus wie ein deutscher Versicherungsbeamter“, sagt Rüdiger Lötzer, zur betreffenden Zeit Sprecher der AG. Für niemanden sei zu erkennen gewesen, welche politischen Ziele Schachtschneider verfolge. „Der hat immer nur freundlich in die Runde gelächelt.“
Abgeschaltet und weiterbetreut
Im Sommer 1999 wurde Schachtschneider vom Verfassungsschutz abgeschaltet. Zu allem Überfluss verurteilte ein Gericht den V-Mann wegen Scheckbetruges in 19 Fällen zu einer Haftstrafe. Beim BdA Prenzlauer Berg nahm der offiziell am 9. Juni von Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) abgeschaltete V-Mann noch im Dezember an einem Mitgliedertreffen teil. Zuletzt gesehen haben ihn seine ehemaligen Mitstreiter im Februar dieses Jahres auf einer Demonstration für den zum Tode verurteilten US-amerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal. Die Verfassungsschützer halten mittlerweile wieder Kontakt zu ihrem Informanten. Um, wie Werthebach erklärt hat, den aufgeflogenen Agenten zu schützen.
Die BdA-Aktivisten fürchten nun, dass ihnen schon im Juni 1999 ein Nachfolger für Schachtschneider ins Nest gesetzt werden sollte. „Da kam einer an und wollte wissen, wo die Molotow-Cocktails sind“, sagt eine BdA-Frau entsetzt. Der Mann wurde abgeblockt.
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