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Mit Stock über Stein

Ebenholz mit Silbergriff oder eloxiertes Alu-Rohr: Wanderstöcke haben Tradition. Jetzt gibt es sie sogar mit Stoßdämpfern  ■ Von Gernot Knödler

Reinhold Messner geht am Stock – und zwar nicht, weil er sich beim Bergsteigen die Knochen gebrochen hat, sondern weil Stöcke den Wanderer zum Vierfüßer machen. Die Beine werden vom Gewicht des Körpers und des Rucksacks entlastet, was beim Bergabgehen vor allem für die Knie ein Segen ist. Der Wanderer kann sich abstützen und damit besser das Gleichgewicht halten, und er kann sich anschieben. Einen Teil der Beinarbeit beim Wandern übernehmen die Arme, so dass sich eine Bergtour auch am Oberkörper abzeichnet.

„Früher dachte ich, das ist nur was für alte Leute mit kaputtem Rücken“, sagt Tim Riches von Globetrotter-Ausrüstungen. „Mittlerweile nehm' ich auf jede Tour meine Wanderstöcke mit.“ Den Plural wählt er mit Bedacht, denn erst mit zwei Exemplaren entfaltet sich der Genuss: Auf ebenem Gelände können kurzbeinige Wandersleut plötzlich ausschreiten wie Langstreckenläufer. Locker schwingen die Stöcke am Handgelenk. „Man hat einen Rhythmus“, sagt Riches. Der richtige Schlag stellt sich von alleine ein.

Während die heutigen Wanderstöcke High-Tech-Geräte aus eloxiertem Aluminium-Rohr, mit Hartmetall-Spitze und ergonomischem Handschmeichler-Griff sind, tat es für unsere Vorfahren auch ein schlichter Holzprügel. Der half nicht nur beim Gehen, sondern diente auch dazu, Hunde und Räuber zu vertreiben. „Meinungsverstärker“ nennt Frank Vertein einen solchen Stock. Kurz und keulenförmig, mit spiralförmigen Kerben verziert oder hüfthoch und gerade mit einem Kompass im Knauf gibt es sie in Verteins Laden. Den brutalsten Meinungsverstärker, ein antikes Stück aus Bambus, darf er allerdings nicht verkaufen: Im Rohr verbirgt sich ein gut 40 Zentimeter langer, erschreckend spitzer Vierkant-Degen. In Frankreich werden solche Dinger noch in verschiedenen Varianten hergestellt, in Deutschland sind sie verboten.

Vertein hat Schirm- und Stockmacher gelernt. Er kennt sich aus mit Griff und Schuss und Zwinge. Er weiß, daß sich ein Schuss, also der eigentliche Stock, aus Ebenholz rentiert, obwohl er alleine schon mindestens 200 Mark kostet. Denn Ebenholz ist durch und durch schwarz, eine Macke am Stock fällt da nicht auf. Zwingen – Stockspitzen – hält er schubladenweise vorrätig: solche aus Horn, aus Gummi und aus Stahl, für die Stadt und fürs Gebirge.

Die meisten Stöcke bei Schirm & Co. sind für Gebrechliche gedacht. Da hilft es nicht, dass Verteins Sortiment vom Krankenkassen-Modell für 19 Mark bis zur Ebenholz-Variante mit kunstvoll ziseliertem Silbergriff reicht. „Der Stock ist nicht in“, stellt der kahlköpfige Mann in der Lederweste bedauernd fest.

High-Tech-Wanderstöcke überlässt Vertein den Trekking-Läden, dafür gibt es bei ihm allem möglichen Gehstöcke als falt- oder zerlegbares Modell für den Koffer. Auch in diesem Sortiment findet sich High-Tech: der Stock mit Thermometer, Licht, Alarmsirene und Vibrator im Griff. Einmal den Schieber betätigt, und schon massiert der Griff brummend die Hand.

Die Wahl will wohl bedacht sein: „Das Wichtigste beim Stock ist die Höhe“, sagt Vertein. Wenn der Mensch aufrecht stehe und die Arme locker herabhängen lasse, dann müsse ihm der Gehstock, auf den man sich von oben stützt, bis zum Puls reichen.

Bei Wanderstöcken ist das anders: Sie sehen aus wie Ski-Stöcke, werden auch genauso gehalten, haben aber eine besonders griffige Zwinge und sind höhenverstellbar. Je nachdem ob es bergauf oder bergab geht, werden sie so eingestellt, dass Ober- und Unterarme im Rechten Winkel zueinander stehen. Wie beim Gehstock soll der Oberkörper aufrecht bleiben.

Die modernen Stöcke haben ihren Preis. Während ein Haselnuss-Prügel 15 Mark kostet, werden für den einfachsten Metallstock 40 Mark fällig. Das Spitzenmodell mit einem geneigten Handgriff aus einer Kork-Latex-Mischung und Federung schlägt mit fast 100 Mark zu Buche und ist nur paarweise zu haben. Dabei bleibt seiner Trägerin eine kultige Möglichkeit verschlossen: „Stocknägel“, kleine Blechschildchen mit den Wappen der durchwanderten Landstriche, können daran nicht befestigt werden.

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