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Produktive Unruhe

Der neue Thalia-Chef Ulrich Khoun hat sich für seine erste Spielzeit viel vorgenommen  ■ Von Felix Koch

Endlich darf er: Seit über einem Jahr hat sich Ulrich Khuon darauf vorbereitet, Jürgen Flimm, der nach 15-jähriger Intendanz mit Tschechows Drei Schwestern erfolgreich Ausstand feierte, als Thalia-Chef abzulösen. Seine Karriere begann er am Stadttheater Konstanz, wo er von 1980 bis 1993 zunächst als Dramaturg und dann als Intendant tätig war. Zuletzt leitete er das Staatsschauspiel Hannover. Gestern präsentierte Khuon den neuen Spielplan und seine Vorhaben als Leiter des Theaters.

Wie bisher soll die Identität des Thalia vor allem durch das eigene Ensemble geprägt sein. Die Hälfte der bisherigen Schauspieler bleiben, etwa zwanzig werden durch Neuzugänge ersetzt. Weitere Schwerpunkte sollen die Zusammenarbeit mit jungen Dramatikern und die Verpflichtung von Regisseuren mit „entschiedenen Handschriften“ sein. Das Theater stellt sich Khuon als einen „gesellschaftlichen Ort“ vor, der Unruhe schaffen, auch irritieren soll – und der alles „Unverbindliche“ nach Möglichkeit vermeidet. Damit ist auch die Richtung für das Programm der kommenden Spielzeit vorgegeben: eine Mischung aus Bewährtem und Neuem unter dem Zeichen „zugespitzter Zeitgenossenschaft“, für die namhafte Regisseure einstehen sollen.

Martin Kusej, zur Zeit am Thalia mit Strindbergs Gespenstersonate, wird sich Shakespeares Othello vornehmen. Andreas Kriegenburg, Regisseur unter anderem am Wiener Burgtheater, bringt Maxim Gorkis unversöhnliches Nachtasyl auf die Bühne, und Michael Thalheimer, der zuletzt in Freiburg mit seinen eigenwilligen Klassiker-Deutungen Aufsehen erregte, inszeniert Franz Molnárs Vorstadt-Moritat Liliom. Kleists Prinz Friedrich von Homburg und Shakespeares Hamlet vervollständigen ein ansehnliches Anfangsrepertoire.

Neben den Klassikern kommen mit zwei Uraufführungen und einer deutschen Erstaufführung auch die zeitgenössischen Dramatiker zum Zuge. Dea Lohers Klaras Verhältnisse, das die Sinnsuche in einer oberflächlichen Gebrauchswelt thematisiert, wurde erst letzte Woche am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Die Aussteiger-Utopie Republik Vineta von Moritz Rinke, Jahrgang '67, wurde eigens für das Thalia Theater geschrieben. Eine Hausproduktion ist auch die Adaption von Dantes La Divina Comedia, deren ersten Teil Inferno Tomaz Pandur (Inszenierung) und Goran Bregovic (Musik) für die kommende Spielzeit erarbeitet haben. Damit wird das in den Neunzigern so erfolgreiche Konzept der Theater-Musicals in neue Hände gelegt, das sich in Robert Wilsons vierter Inszenierung POEtry zuletzt erschöpft zu haben schien.

Der Absicht, das Theater auch zur „Begegnungsstätte“ zu machen, will Khuon durch die Eröffnung einer Studiobühne in Altona Rechnung tragen. An Stelle des TiK soll im neuen Thalia in der Gaußstrasse ein „Labor zeitgenössischen Theaters“ entstehen. Interessierte werden dort Gelegenheit haben, Theater einmal nicht als endgültiges Produkt, sondern vor allem als schöpferischen Prozess zu erleben.

Ulrich Khuon hat sich viel vorgenommen – zwölf Premieren in einer Spielzeit, dazu die Etablierung einer neuen Bühne mit ganz eigenem Profil dürften den Etat und die Leis-tungsfähigkeit des Ensembles voll auslasten. Da trifft es sich gut, dass Khuons Vorgänger ihm trotz notorischer Etatknappheit einen Überschuss von voraussichtlich einer Million Mark hinterlassen wird. So steht zu hoffen, dass das vorgelegte ideenreiche und ambitionierte Programm sich mit Erfolg realisieren lässt und auf das wache und engagierte Publikum trifft, das es verdient. Ein Voraberfolg ist schon zu verbuchen: Für nächstes Jahr ist das Thalia zu den Bregenzer Festspielen eingeladen worden.

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