: Klischees, Kulturen und Kulturschocks
Im Zeitalter fortschreitender Globalisierung wird auch die erfolgreiche Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturen immer wichtiger. Schon ist auch ein neuer Markt geboren: Interkulturelle Kommunikation. Doch Vorsicht: Japaner ist nicht gleich Japaner
von JEANNETTE GODDAR
Als ihr Arbeitgeber Pleite machte, hielt das Arbeitsamt sie mit ihren 42 Jahren für nicht mehr vermittelbar. Die studierte Sinologin konnte es nicht fassen: Sollte sie wirklich zehn Jahre lang für verschiedene Arbeitgeber in verschiedenen Ländern Asiens gelebt haben, ohne aus der Erfahrung schöpfen zu können? Kurze Zeit darauf kam Bettina Proksch der zündende Gedanke: die Gründung einer Gesellschaft für Interkulturelle Kommunikation (GinKo). „Viele Leute bewegen sich auf ausländischem Parkett immer noch wie der berühmte Elefant im Porzellanladen“, so Proksch, „im Zeitalter der Globalisierung wird es immer wichtiger, daran etwas zu ändern.“
Heute bietet GinKo maßgeschneiderte Programme für Firmen oder einzelne Mitarbeiter, die sich in diesem oder jenem Land etablieren wollen. Bettina Proksch setzt nicht zuallererst auf Landeskunde: „Es geht nicht darum, möglichst viele Klischees über Japaner oder Chinesen zu verbreiten“, so Proksch. Viel wichtiger sei die Erkenntnis der eigenen Programmierung, auch durch Rollenspiele und Selbsterkenntnistests. „Erst wenn ich meine Grenze kenne“, so Proksch, „weiß ich, an welcher Grenze ich dem anderen begegne.“ So soll auch ihr eigenes Faltblatt zunächst einmal für Verwirrung und Nachdenklichkeit sorgen. Darauf geschrieben steht eine chinesische Begrüßungsformel: „Sie sind aber schön fett geworden!“
Bettina Proksch ist mitnichten die Einzige, die in den 90er-Jahren in die Marktlücke „Interkulturelle Kommunikation“ stieß. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen nicht nur als Touristen in fremde Länder reisen, sondern auch dort leben, arbeiten und verhandeln, werden die Verständnisprobleme auch aus ökonomischer Sicht immer gravierender. Stapelweise beschäftigen sich Papiere in den Chefetagen der multinationalen Konzerne mit dem Scheitern internationaler Kontakte oder kompletter Dependancen. Immer wieder laufen Geschäftskontakte ins Leere; kehren Mitarbeiter demotiviert und unter den Nachwehen eines Kulturschocks leidend vorzeitig zurück.
In der Regel sind die Folgen des Kulturschocks unter den so genannten „Expatriates“ auch vor Ort unübersehbar: Oft ohne jeden privaten Kontakt zu Einheimischen, fristen sie ihr Dasein in „eigenen“ Clubs, Restaurants und Cafés – und verbringen nicht selten einen Großteil der Zeit damit, über die Menschen, unter denen sie zu leben gezwungen sind, zu lästern.
Dass das Leben in der Fremde den Bedarf an einschlägigen kommunikativen Fähigkeiten mit sich bringt, lernten zuerst die US-Amerikaner, die sich Mitte dieses Jahrhunderts verstärkt mit Kulturaustausch und der Entsendung von Entwicklungshelfern beschäftigten. Dort entstanden in den 50er-Jahren die ersten interkulturellen Trainings. Die Auseinandersetzung mit der Identität der Schwarzen tat ein Übriges, das Thema voranzutreiben.
In Deutschland rührte sich lange wenig bis gar nichts. Erst in den vergangenen Jahren hat sich an den Universitäten, aber auch auf dem privaten Weiterbildungssektor einiges getan. Vorbildcharakter auf der universitären Ebene hat der Nebenfach-Studiengang „Interkulturelle Kommunikation“ an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, der allerdings bisher vor allem von Geisteswissenschaftlern belegt wird. In Mannheim ist im Rahmen der Betriebswirtschaft „Kultur-BWL“ im Angebot, in Bremen „Wirtschaftssinologie“, in Jena „Interkulturelle Wirtschaftskommunikation“. In Chemnitz wurde „Interkulturelle Kommunikation“ beim Zentrum für Fremdsprachen untergebracht. An der Universität Trier entstand der „europa asien service trier“ (east), der sich auch an die freie Wirtschaft wendet. Darüber hinaus tummeln sich auf dem Markt verschiedene freie Träger, die Firmen wie Einzelpersonen unterschiedlichste Angebote machen.
Ein wesentlicher Motor in Deutschland wie anderswo waren die Thesen des Niederländers Geert Hofstede, der Kulturen als „mentale Programmierung des Geistes“ bezeichnete und erforschte. Als Grundlage seiner Arbeit befragte Hofstede IBM-Mitarbeiter in 65 Ländern nach ihren kulturellen Werten und erstellte so eine Art Länderliste kultureller Codes. Zwecks Erstellung der Liste, mit der Hofstede zum – wenn auch nicht unumstrittenen – Pionier der Interkulturellen Kommunikation wurde, entwickelte er ein Indexsystem, das auf fünf Wertekategorien basiert: „Machtdistanz“ misst das Verhältnis zur Ungleichheit innerhalb einer Kultur, „Gleichheit/Ungleichheit“ die Machtbeziehungen, „Individualismus/Kollektivismus“ die Struktur der Loyalitätsbeziehungen, Maskulinität/Feminität“ den Anteil männlicher und weiblicher Werte. Als fünfte Kategorie fügte Hofstede – und zwar auf Anraten asiatischer Partner, denen, anders als einem Westeuropäer, deren Bedeutung auffiel – die Dimension „langfristige/kurzfristige Orientierung“ ein. Mit Hilfe letzterer sollen die in Asien außerordentlich bedeutsamen perspektivistischen Ausrichtungen gemessen werden.
So entstanden Tabellen, die Kultur als eine in Zahlenwerten darstellbare Größe erscheinen ließen: In Malaysia und Guatemala wurden beispielsweise die höchsten Machtdistanzwerte gemessen, in Israel und Österreich die niedrigsten. Der Logik Hofstedes folgend bedeute dies, dass in den Ländern mit einem hohen Index die Menschen in einem höheren Ausmaß erwarten und akzeptieren, dass die Macht ungleich verteilt ist, als in Ländern mit niedrigen Werten. Mit diesem Wissen ausgestattet, so Hofstede, könnten Unternehmen sowohl Investitionsentscheidungen treffen als auch Arbeitsprozesse organisieren.
Allerdings verweist Hofstede auch darauf, dass zum Erkennen anderer Kulturen immer zwei gehören: der, der erkennt, und der, der erkannt wird. So wird ein deutscher Manager, der mit erhöhtem Planungs- und Sicherheitsbedürfnis in ein Land geht, in dem Unsicherheitsvermeidung keine große Rolle spielt, den Frust seines Lebens erleben – aber nicht nur, weil die anderen so chaotisch sind, sondern weil er selber in seinen Mustern steckt. Folglich, so Hofstede, beginne das Erlernen interkultureller Kommunikation mit der Erkenntnis, „dass ich durch die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, mit einer bestimmten mentalen Software ausgestattet bin, und dass andere (...) aus genau so guten Gründen mit einer anderen Software programmiert sind.“
Der lange missachteten Logik folgend, dass die Grenzen des Verstehens vom Sichselbstverstehen abhängen, gehen auch in Deutschland immer mehr Anbieter dazu über, einen Schwerpunkt auf Selbsterkenntnis zu legen. Die länderspezifische Vermittlung von Kenntnissen gehört inzwischen zu den umstrittensten Teilen interkulturellen Trainings, vor allem, weil sie gerade in Kurzzeit-Seminaren über Klischees kaum hinaus kommt und ganzen Völkern Kollektiveigenschaften andichtet. Nur wenige Anbieter bieten eine tiefgründige Vorbereitung auf das Zielland.
Auch die Münchner Dozentin für Interkulturelle Kommunikation, Juliana Roth, verweist darauf, dass die gern veranstalteten Verhandlungstrainings mit „dem Vietnamesen“ oder „dem Mexikaner“ nicht unproblematisch seien: „Wenn sich ein westernisierter Chinese mit mir trifft, wird auch er angelernte Verhaltensweisen mitbringen, weil er weiß, dass ich Deutsche bin.“ Auswendig gelernte Typisierungen seien, wenn überhaupt, nur solange zu etwas nütze, wie man wisse, dass es sich bei ihnen um eine Krücke handle. „Ansonsten können Stereotype sehr hinderlich sein bei dem Versuch, eine Kultur zu erfassen“, so Roth.
Dazu kommt, dass eine Umkehrung der üblichen landeskundlichen Informationen – also zum Beispiel ein Blick auf die stereotype Darstellung Deutscher im Ausland – die Grenzen der Zuschreibung von kollektiven Eigenschaften schnell aufzeigt: Im eigenen Land weiß man sehr genau, dass sich zu den regionalen Unterschieden religiöse, soziale, geografische gesellen. Ein Spruch, der an einer niederbayerischen Theke zum Renner des Abends werden kann, mag in Flensburg nur mit einem abfälligen Lächeln quittiert werden. Weil stereotyp verbreitete Eigenschaften immer nur auf einen Teil der Bewohner zutreffen, aber auch, weil im Zeitalter der Globalisierung immer mehr Menschen in kurzfristigen Projekten arbeiten oder schlicht nicht wissen, in welches Land es sie verschlägt, ist ein weiterer Trend die Vermittlung länderunspezifischer Kompetenzen. Bei dieser bekommen die Teilnehmer Fallstudien serviert, in denen nicht von Japanern und Franzosen, sondern beispielsweise von Majoriten und Minoriten die Rede ist. Anhand dessen sollen sie Verhaltenshypothesen sowie mögliche Reaktionen entwickeln. In Rollenspielen werden Verhandlungen simuliert, die sich über mehrere Tage ziehen können. Auch Juliane Roth glaubt, dass es durchaus möglich ist, Menschen eine Art „Generalschlüssel“ für interkulturelles Verhalten in die Hand zu geben: „Wer einmal erkannt hat, wie eine Kultur funktioniert, wird auch in einer anderen Umgebung die richtigen Fragen stellen.“
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