cdu-parteitag: MEHR DEMO-KRATIE WAGEN
Gewiss, es wurde auch gewählt in Essen. Für die CDU mag im Vordergrund stehen, ob Angela Merkel ein paar Prozent mehr oder weniger erhalten hat. Für den Rest der Gesellschaft ist eine andere Frage aufregender: Schafft es die CDU mit ihrem Essener Parteitag, das Prinzip Gehorsam durch das Wagnis innerparteilicher Demokratie zu ersetzen? Daran entscheidet sich, ob ausgerechnet die Christdemokraten, diese langjährigen Meister der Beharrung, zu Vorbildern für die Erneuerung verkrusteter Parteistrukturen in Deutschland werden können. Der Bedarf für Vorbilder ist groß – die Entwicklung von SPD und Grünen seit ihrem Regierungsantritt zeigt, wie schnell auch linke Parteien Gefahr laufen, auf das Prinzip Gehorsam zu setzen.
Für einen kurzen Moment gelang es den Konservativen bereits, den Neid und die Bewunderung ihrer Konkurrenten zu erregen. Mit ihren Regionalkonferenzen schufen sie ein Forum, das politisch handlungsfähig war und trotzdem den Mitgliedern die Befriedigung direkter Beteiligung gab. Die Wirkung auf andere Parteien war unmittelbar: Reformer bei der PDS seufzten, ihre verstockte Basis könnte sich bei den CDU-Mitgliedern den Spaß an der Erneuerung abgucken. Die SPD wartete gleich mit einem eigenen Reformvorschlag auf: Über „Primaries“ sollen auch politisch nicht organisierte Bürger die Auswahl von Bundestagskandidaten bestimmen dürfen.
Kann der Geist der Regionalkonferenzen die Hinterzimmerdeals eines Parteitags überleben? An Beteuerungen fehlt es nicht. Wie viel Mitsprache die CDU ihren Mitgliedern gönnt und wie viel Demokratie sie letztlich den Bürgern zugesteht, hängt an den Anträgen B 19 bis B 28. Die Vorschläge gehen an die Grenzen dessen, was für Christdemokraten bisher vorstellbar war: Der Bundespräsident solle direkt vom Volk gewählt werden. Lobbyisten mit CDU-Parteibuch sollen nicht länger als Abgeordnete im Bundestag sitzen dürfen. Auch die Privilegien der beamteten MdBs sollen beschnitten werden: Bleiben sie länger als zwei Legislaturperioden im Amt, sollen sie das Rückkehrrecht in ihre sicheren Staatsdiener-Jobs verlieren.
Einen Haken haben die Anträge B 19 bis B 28: Entschieden werden soll über sie erst 2001, so lange werden sie durch die Gremien geschleust. Ob der Essener Parteitag die Demokratie in Partei und Land voranbringt, wird also erst dort entschieden, wo es erfahrungsgemäß besonders undemokratisch zugeht. PATRIK SCHWARZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen