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Maßvoller Schlüpferflug

■ Ist es das fünfte oder sechste Comeback, das Tom Jones zur Zeit als Dieb fremden Liedguts feiert? In der Stadthalle begann seine Deutschlandtournee

Als Tom Jones vor ein paar Jahren das letzte Mal in Bremen gas-tierte, war die Stadthalle keineswegs so voll, wie sie es am vergangenen Samstag war. Das war vor „Reload“, dem Album, auf dem er mit allerlei jungem Volk allerhand Songs der jüngeren Geschichte singt, und das mit „Sexbomb“ etwas verspätet seine Fama auf den Punkt bringt. Nicht umsonst nennen sie ihn den „Tiger“. Und wie sein Auftritt bewies, ist der Tiger immer noch in der Lage, jeden Song zu reißen und ihn unverkennbar zu einem Stück (von) Tom Jones zu machen. Seine Stimme kennt keine Brüche, überrascht nicht mit einer neuen Farbe, lediglich einmal, dass er in einer stillen Sekunde seine Kopfstimme benutzt. Und ein anderes Mal liegt tatsächlich ein schwerer Effekt auf seinem „yeah!“. Ansonsten: alles echt, die ungebrochene Kraft seines dramatisch tremolierenden Organs. Auch seine Show ist bei aller Zurückhaltung, die Songs wie „Sexbomb“ noch zulassen, bis in jede Bewegung von jener alten Schule, die ihr Handwerk eben noch lernen musste.

Seine Stimme und seine Präsenz ließen schließlich auch die höchst unterschiedlichen Phasen seiner musikalischen Vergangenheit in ein schlüssiges Ganzes münden. Von seinen Hits der frühen Sechziger über die Las-Vegas-Versionen immergrüner Standards bis hin zu den Songs seines bereits erwähnten letzten Albums, zwischen Rhythm & Blues, Country, Rock'n'Roll und dem poppigen „Sexbomb“, das übrigens gleich zweimal gespielt wurde, reichte das Programm, das sich Jones gar nicht erst bemüht hatte, auswendig zu lernen, wo er doch auch auf den Zettel gucken konnte, der irgendwo beim Schlagzeugpodest lag, – „Was kommt als nächs-tes? Ah ja...“. Understatement vom Anzug bis zur kessen Sohle, die er aufs Parkett legte. Der Jubel des Publikums, zu einem nicht geringen Teil jung und weiblich, das zur Zugabe auf den Stühlen stand, bewies, dass seine Stimme Glitter und Glamour von Las Vegas nicht unbedingt nötig hat, davon abgesehen, dass der hier auch deplatziert gewesen wäre.

Es war schließlich das Popkonzert eines Musikers, der gerade ganz oben in den Charts ist. Den schon in der Anlage her reichlich schunkeligen Rhythmus des Tom Jones-Evergreens „Delilah“ wendete Tom Jones dann auch neckisch in einen Polka-Rhythmus und milderte so die unfreiwillige Komik, die der Song für Nachgeborene durchaus haben kann. Souverän umschiffte er die Klippen, die sich auftun, wenn frischgebackene 60-Jährige Musik für junge Leute machen. Tom Jones heute, das ist ein generationenübergreifendes Programm. Immer noch fliegen Kleidungsstücke auf die Bühne, wenn auch in Maßen, und immer noch ist Tom Jones der Mann, der weiß was Frauen wünschen, damit sie sich nachher zuraunen: „Die alten Re-cken können's immer noch am Bes-ten.“ Das alles wäre jedoch dennoch nicht sehr viel mehr als eine weitere Revue des Ewiggestrigen, würde Tom Jones nicht von irgendwoher Ideen geflüstert bekommen, wie seinerzeit die, mit Art Of Noise den Prince-Song „Kiss“ oder eben ein Album wie „Reload“ aufzunehmen. So kriegt er sie alle. Naja, genug jedenfalls, um die Stadthalle bis oben hin zu füllen. A.Schnell

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