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Der letzte Tanz

Warten auf die große Flut: Manfred Giesler zeigt in seiner Galerie Gemälde und Zeichnungen der Künstlerin Biene Feld zur Legende um die Ostseestadt Vineta

Grüne, rote und lila Techno-Gestalten tanzen in einem unterirdischen Gewölbe: Die Bewohner Vinetas feiern noch einmal eines ihrer rauschenden Feste. Im Hintergrund zucken Lichtreflexe über die dunklen Wände, und in den weit aufgerissenen Augen der Tänzer spiegelt sich schon die Sturmflut, die bald ihre Stadt vernichten soll: „Sie tanzten den letzten Tanz“ lautet der schlichte und apokalyptische Titel, den die Künstlerin Biene Feld ihrem Bild von der letzten großen Party in der Stadt Vineta gegeben hat.

Aufstieg, Untergang und Wiederkehr – Biene Feld hat aus der Geschichte der Stadt Vineta eine Art Zyklus gemacht, den die Galerie Manfred Giesler und Partner zur Zeit in Berlin ausstellt. Neben den Ravern stehen Straßenszenen und kalte Visionen der versunkenen Stadt: grellweiße Mauern und Türme, die lautlos über den schwarzen Wassern der Ostsee schweben.

Der Sage nach soll die Stadt alle hundert Jahre einmal an einem Ostermorgen vor der Küste der Insel Usedom zu sehen sein, als Erinnerung an den Hochmut ihrer Bewohner – und ihre Bestrafung. Biene Feld wird die Geschichte Vinetas als Kind gehört haben: Die Künstlerin ist 1960 in Greifswald geboren und hat auch auf Usedom gelebt. Biene Feld – der Name ist ein Pseudonym – hat zunächst in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchdruck studiert, später dann, nachdem sie 1986 nach Westdeutschland übergesiedelt war, an der Berliner Hochschule der Künste.

In den Kohlezeichnungen aus dem Vineta-Zyklus rauchen Schornsteine und Vögel fallen aus der verpesteten Luft, und auch in den Ölgemälden Biene Felds blitzen unter den dick mit einem Spachtel aufgetragenen Farben die Achtzigerjahre auf: ein paar Buchstaben, halbe Wörter sind in den dichten Bildern gerade noch zu erkennen. Erklärungen, die nicht mehr zu entziffern sind, kaputte Zitate, die in eine Zeit zurückweisen, in der Gefahren noch Namen hatten – Tschernobyl, Pershing, Gorleben – und Kunst einfach nur ein Statement sein konnte.

Es sind nicht nur die Achtziger. Die ökologischen Schreckensbilder treffen auf die Raver der Neunzigerjahre, expressionistische Großstadtszenarien vom Anfang des Jahrhunderts vermischen sich mit maroder Renaissance-Architektur und neogotischem Mauerwerk: Aus dem Mythos von der versunkenen Stadt, die immer wiederkehrt, wird der Mythos einer Kunst, die sich von ihren eigenen Bildern nicht befreien kann. Vergeblich wartet sie auf die eine, große Flut. Die See ist fern. KOLJA MENSING

Bis 29. April, Mi – Sa 14 – 19 Uhr, Galerie Giesler und Partner, Taubenstraße 19

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