: „60 Prozent links“
Um die Berliner SPD aus der Gefangenschaft der CDU zu befreien, will Fraktionschef Wowereit auch über ein Bündnis mit der PDS debattieren
taz: Noch Anfang des Jahres haben Sie ein Bündnis mit der PDS auch langfristig ausgeschlossen. Jetzt reißt die Debatte innerhalb der SPD nicht mehr ab. Können Sie Ihre Position noch aufrechterhalten?
Klaus Wowereit: In der SPD wächst die Bereitschaft, sich mit der PDS auseinander zu setzen. Auch stellt sich gerade im Westteil der Stadt ein gewisser Prozess der Gewöhnung an die Existenz der PDS ein. Aber durch den Verlauf des PDS-Bundesparteitags hat das einen schweren Rückschlag erlitten. Die SPD steht jedoch prinzipiell vor der Frage: Soll es denn nach 2004 weiter eine große Koalition geben? Oder ist die PDS die einzige andere Option, die hier übrig bleibt? Deshalb ist das sicher ein Thema, das wir diskutieren müssen.
Bundesweit wird die Debatte vor allem von SozialdemokratInnen aus dem Osten geführt. Besteht auch unter den Ostberliner GenossInnen dieser Diskussionsbedarf?
Sehr viele unserer Mitglieder im Ostteil der Stadt haben sehr stark unter dem Regime in der ehemaligen DDR gelitten. Jetzt sind genau diese Leute mit ehemals führenden Mitgliedern der SED konfrontiert. Sie haben zur PDS kein neutrales Verhältnis, können es auch gar nicht haben. Da gibt es ganz starke persönliche Widerstände. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die innerparteiliche Debatte.
Das heißt, die Diskussion wird in der Hauptstadt von den ehemaligen Westberlinern geführt?
Nicht nur. In einigen SPD-Kreisverbänden wird die Frage PDS eher im Hinblick auf ein Linksbündnis diskutiert. Man betrachtet die PDS als möglichen Partner, um aus der Umklammerung der großen Koalition herauszukommen. Ein strategisch verständlicher Ansatz, gerade angesichts der neuesten Berliner Umfragezahlen.
Gilt das auch noch nach dem Bundesparteitag der PDS und der Rückzugsankündigung von Gregor Gysi und Lothar Bisky?
Ich habe zu meinem Amtsantritt im Dezember klipp und klar gesagt, dass ich die PDS nicht als Bündnispartner sehe – in dieser Legislaturperiode nicht; und wenn es darüber hinausgehen soll, muss die PDS beweisen, dass sie tatsächlich in ihren inneren Strukturen bündnisfähig ist. Jetzt hat sich gezeigt, wie berechtigt die Befürchtung war, dass führende Galionsfiguren wie Bisky und Gysi nicht die Basis repräsentieren. Führungspersönlichkeiten, die bis in bürgerliche Schichten Akzeptanz gefunden und damit eine Enttabuisierung der PDS vorangetrieben haben, sind jetzt weg. Man wird aufmerksam beobachten müssen, wohin die PDS steuert.
Was sind Ihre Kriterien für die Veränderungen der PDS? Reicht es, wenn eine neue Garde kommt, die im selben Maße Akzeptanz erreichen kann?
Es wird sich zeigen, wer jetzt überhaupt die Führung der Partei übernimmt, sowohl in der Bundestagsfraktion wie in der Bundespartei. Dann sehen wir, wer sich durchsetzt, mit welchem Programm und wie sich das in die Parteigliederungen fortsetzt. Das hängt natürlich auch von der Kraft der jeweiligen Vorsitzenden ab.
Hängt die Entscheidung der Berliner SPD mehr von der Entwicklung der Bundes-PDS ab oder von der Berliner PDS?
Die Berliner PDS macht einen wesentlichen Teil der Bundes-PDS aus, das lässt sich kaum trennen. Der Berliner Landesverband ist einer der mitgliederstärksten, und aus ihm kommen auch ganz überwiegend die Führungspersönlichkeiten.
Wie schätzen Sie die Berliner PDS ein?
Ich kann nur die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus einschätzen. Da haben wir das bunte Bild der PDS, doch dieses bunte Bild korrespondiert nicht wirklich mit der Basis. Allerdings muss ich hier eine Veränderung feststellen. Seit die PDS keine Landesliste mehr aufstellt, kommen wieder verstärkt die rückwärts gewandten Kräfte von der Basis zum Zuge. Damit ergibt sich auch in der Fraktion ein anderes Bild.
Inwiefern?
Es sind andere Kandidaten ins Abgeordnetenhaus eingezogen, die früher nicht ins Parlament gekommen wären. Ich habe den Eindruck, dass inzwischen weniger Reformer in der Fraktion sind. Nun ist eine heterogene Fraktion kein Problem, solange man in der Opposition ist. Da ist es kein Problem, wenn einer aus der Fraktionsdisziplin ausschert. Entscheidend wird es wie in Mecklenburg-Vorpommern, wenn die PDS Verantwortung übernimmt. Da muss man sehen, welche Kräfte sich durchsetzen.
Unterstützen Sie den Vorstoß einiger Sozialdemokraten, verstärkt reformbereite PDS-Mitglieder abzuwerben?
Es wird keiner, der sich zu unseren Zielen bekennt, von der SPD fern gehalten werden. Wer sich in der PDS nicht mehr wohl fühlt und den Weg zur SPD gehen will, den nehmen wir auch auf. Wir machen aber keine Kampagne, vielleicht noch mit dem Angebot von Parlamentsmandaten, wie die CDU das bei den früheren DDR-Bürgerrechtlern praktiziert hat. Das ist keine Strategie der SPD. Ich glaube auch nicht, dass sie erfolgreich wäre. Es geht uns nicht so sehr um die Mitglieder der PDS, sondern vor allem um ihre Wähler.
Die aktuellen Umfragewerte der SPD werden eher diejenigen bestärken, die sich das Linksbündnis auf die Fahnen geschrieben haben. Die SPD ist laut Forsa auf Landesebene bei 25 Prozent, die CDU wieder auf 39 Prozent.
Wir müssen sehen, wie sich das politische Spektrum in dieser Stadt aufteilt. Da haben wir gegenwärtig 60 Prozent links von der Mitte und 40 Prozent rechts von der Mitte. Für mich ist die entscheidende Frage: Ist es in dieser Stadt mit dieser Bevölkerungsstruktur überhaupt zu schaffen, die Konservativen auf 25 Prozent zu drücken? Also stellt sich als nächstes das Problem: Wo soll die SPD denn Stimmen gewinnen? Bei der PDS, die im Ostteil so stark ist? Bei der CDU? Die SPD müsste also Wähler von der PDS und von den Grünen bekommen. Aber Nullsummenspiele bringen nichts. Deshalb müssen wir strategisch auch an die CDU-Wähler ran. Jedenfalls müssen wir alles unternehmen, um 2004, nach 14 Jahren großer Koalition, zu einer Alternative für die Stadt zu kommen. Interview:BARBARA JUNGE, RALPH BOLLMANNDOROTHEE WINDEN
Klaus Wowereit, 46, ist seit Dezember 1999 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin. Parteiintern wird der Haushaltsexperte, der für einen strikten Sparkurs steht, dem Flügel der Modernisierer zugerechnet. Das besondere Interesse des gelernten Juristen und geborenen Westberliners gilt der Kulturpolitik.
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