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Werden wir Europameister?

JA ■ taz-Redakteur MATTI LIESKE: Die deutschen Fußballer werden im Juni locker Europameister, und Teamchef Erich Ribbeck ist genau der richtige Mann für die WM 2002 in Fernost.

Noch sechs Wochen bis zur Fußball-Europameisterschaft, und auf dem Weg zur erfolgreichen Titelverteidigung läuft alles bestens für das deutsche Team. Ein 1:1 gegen die Schweiz, das kann sich sehen lassen. Bei den Eidgenossen handelt es sich immerhin um ein Team, das noch vor wenigen Monaten gegen Wales und Weißrussland und beinahe auch gegen Dänemark gewann. Nun gut, vielleicht war die Vorstellung der DFB-Mannschaft am Mittwoch nicht in jeder Minute überzeugend, aber in der grauslichen Geschichte grauslicher Vorbereitungsspiele auf große Turniere war das Match mindestens guter Durchschnitt.

Und das sogar unter widrigsten Bedingungen, nämlich auf dem Betzenberg in Kaiserslautern, wo Fußball mit Otto gleichgesetzt wird und das Publikum allen Ernstes von modernen Nationalspielern fordert: „Wir wollen euch kämpfen sehen.“ Kämpfen? In einem Freundschaftsspiel? Wo doch gerade Meisterschaft und Champions League vor der Entscheidung stehen. Genausogut könnte man am späten Nachmittag in den mallorquinischen Ballermann gehen und die dort versammelten Gäste zu einer zünftigen Bergwanderung auffordern.

Extrem knifflig war in Kaiserslautern auch die personelle Situation: Jens „Zlatko“ Jeremies vor die Tür gesetzt, Mehmet „Klitschko“ Scholl ebenso frühzeitig vom Zipperlein geplagt wie Christian „Hrubesch“ Ziege und Markus „Flasche leer“ Babbel, im Tor zu allem Überfluss ein Dortmunder Borusse, das personifizierte schlechte Omen. Dann all das Gefeilsche um Einsatzminuten mit Vereinsfunktionären, die Länderspiele für reinste Zeit- und Kraftverschwendung halten. Allen voran Bayerns Uli Hoeneß, der wochenlang über den jämmerlichen Zustand der DFB-Mannschaft unter Teamchef Erich Ribbeck jeremisiert und dessen Spieler dann umfallen wie von einem seltenen afrikanischen Virus niedergestreckt, sobald sie ein Nationaltrikot aus der Nähe erblicken. Unter diesen Umständen der mächtigen Schweiz nicht nur Paroli zu bieten, sondern sogar ein wunderbar irreguläres Tor zu erzielen, das gibt zu schönsten Zukunftshoffnungen Anlass. Von wegen, liebes Lauterer Publikum: „Ohne Basler habt ihr keine Chance.“ Ha!

In Wahrheit diente das Match auf dem Betzenberg ohnehin nur der moralischen Stärkung durch erfolgreiche Prämienaushandlung, der Länderspielstatistik von Lothar „Longball“ Matthäus und der unauffälligen Entsorgung des Torhüters Jens Lehmann. Echt raffiniert, dieser Ribbeck!

„Wir können Europameister werden, weil die anderen auch nicht besser sind“, hat Franz Beckenbauer scharfsichtig erkannt, und der mittwöchliche Länderspieltag gibt ihm recht. Die Niederländer beim 0:0 gegen Schottland in Arnheim gellend ausgepfiffen, obwohl allein Edgar Davids in diesem Spiel mehr Kilometer zurückgelegt hat, als sämtliche deutschen Mittelfeldspieler in den letzten zwei Jahren zusammen. Norwegen verliert gar 0:2 gegen Belgien, Frankreich quält sich zu einem 3:2 gegen Slowenien. Slowenien! Und die Gruppengegner der Deutschen bei der EM? Rumänien 2:0 gegen Zypern, lächerlich! Portugal kombiniert hübsch, schießt beim 0:2 in Italien aber wie üblich kein Tor, nicht mal ein irreguläres, und England hat sich gar nicht erst getraut zu spielen.

Allem die Krone auf setzt Brasilien. Der weltweite Lehrmeister guten Fußballs gewinnt in der WM-Qualifikation zwar mit 3:2 gegen Ecuador, doch die Spieler laufen nach Beobachtung von Altstar Rivelino „wie aufgescheucht hinter Ball und Gegner her“. Klarer Pluspunkt für die rationellen Deutschen: Die laufen überhaupt nicht hinter Ball und Gegner her.

Ohnehin wissen wir längst: Der Deutsche wird nie ein Brasilianer, abgerechnet wird zum Schluss, wichtig ist nur das Resultat, über den Kampf finden wir zum Spiel, wir waren schon immer eine Turniermannschaft und wenn es ernst wird, sind wir stets da – hat man ja vor zwei Jahren gegen Mexiko gesehen und in der EM-Qualifikation. Was macht es da schon, wenn, wie Günter „Kassandra“ Netzer festgestellt hat, dass kein System im deutschen Spiel zu erkennen ist. Wozu System, wenn doch nur der Ball ins Tor muss. Die EM-Qualifikation hat man ja schließlich auch ohne System geschafft.

Und wozu gibt es eigentlich Trainingslager? Stolze sieben Tage hat der DFB Ribbeck und seinem Hütchenwart eingeräumt, um auf der schönen Insel Mallorca die fußballerische Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre ballermannmäßig nachzuholen. Ein paar zünftige Bergwanderungen unter Führung von Gipfelwart Uli Stielike, und die Sache ist geritzt.

Oberster Garant für den Erfolg der Mission EM-Titel bleibt jedoch Teamchef Ribbeck. Immer lieb, aber hart gegen sich selbst und seine Spieler (Jeremies), innovationsfreudig (Sebescen, Matthäus), voller taktischer Finessen (Viererkette im Sturm), eine ehrliche Haut („Ich kann nichts machen“) und noch kein einziges fremdes Volk beleidigt – mit einem solchen Ausbund an Tugend muss man doch Europameister werden. Und wenn nicht, dann gewinnen wir eben zwei Jahre später die WM. Mit Erich Ribbeck, versteht sich. Bange machen gilt nicht, Herr Netzer.

Zitat:Matti Lieske ist zuversichtlichNoch kein einziges fremdes Volk beleidigt – da muss man doch Europameister werden

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