piwik no script img

Tulpen aus Amsterdam

Jetzt im Frühjahr haben sie Hochkonjunktur, die ältesten blumigen Liebeserklärungen. Blumenfahrt vom Altersheim für Blumenzwiebeln bis zur weltgrößten Blumenauktion

von MAIKE RADEMAKER

Semper Augustus, die „Immer Glückliche“ lebt nicht mehr. Dabei hätte so manch einer viel dafür getan, um die kostbare Schönheit zu erhalten, schließlich hat sie den Niederländern Herz, Nerven und Geld geraubt. Keiner wusste genau, wer sie hatte, jeder wusste aber, dass es nur ein gutes Dutzend von ihr gab, dass sie deswegen teuer war, Schwindel erregend teuer. Ihr Besitzer hat sicherlich verzweifelt versucht, sie nachzuzüchten, nichts half: Die Tulpe Semper Augustus, zierlich, weiß mit roten Flammen, verschwand ebenso schnell vom niederländischen Tulpenmarkt des aufblühenden 17. Jahrhunderts, wie sie erschienen war. „Semper war krank, sie war von einem Virus infiziert und konnte gar nicht überleben!“

Chris van Keeken, 76, ehemaliger Blumenzüchter und damit Pragmatiker, heute ehrenamtlicher Touristenführer, trauert Semper nicht nach. Für eine Semper-Zwiebel zahlten durchdrehende, tulpensüchtige Händler 1636 über 10.000 Gulden. Ganze Familien hätten damals davon jahrelang leben können. Für van Keeken ist eine kranke Tulpe eine kranke Tulpe.

Van Keeken, der nie einen Schritt ohne seine Gartenhandschuhe tun würde, steht mehr auf die Überlebenden. So zum Beispiel auf die kleine rotgelbe Duc van Tol. Die gibt es noch. Niedrig, früh, bunt und munter blinkert sie im holländischen Limmen, keine Stunde von Amsterdam entfernt, der Aprilsonne des 21. Jahrhunderts entgegen. Diese Duc van Tol von 1595 ist die älteste Tulpe, die die niederländische Stiftung „Hortus Bulborum“ in ihrem „Altersheim für Blumenzwiebeln“ jedes Jahr nachzüchtet, um sie zu erhalten. „Sie kommen jedes Jahr wieder und sehen immer gleich aus“ staunt van Keeken heute noch. 1.700 Blumen, darunter 1.200 Tulpen, frühe und späte, können Besucher jedes Frühjahr in Limmen sehen.

In der Limmener Anlage schaukelt die bunte Geschichte eines niederländischen Phänomens: Tulpen. Rotgelb, braunrot, weiß, lila, gefranst, gefüllt, spitz, klein, einfarbig, mehrfarbig – an den Tulpen der Jahrhunderte kann man die Moden ablesen. So sind die Züchtungen der Sechzigerjahre kindskopfgroße gefüllte Blüten, rotgelb, hoch – Flower-Power lässt grüßen. Daneben sieht die heute moderne, unifarbene Designertulpe mit ihrem kleinen Eierkopf richtig bescheiden aus.

Die ursprünglich asiatische Blume, ein Juwel türkischer Gärten im Mittelalter, wurde durch und in Holland berühmt, weil sie im Februar 1637 den ersten „Börsencrash“ der Geschichte auslöste. Die im goldenen Zeitalter der Niederlande reich gewordenen calvinistischen Holländer zahlten viel für möglichst schöne und seltene Tulpen. So konnten sie ihren Reichtum in ihren Gärten dokumentieren. Was sie nicht wussten: Die schönsten, die geflammten, waren infiziert vom Mosaikvirus und kaum überlebensfähig. Als der Run auf die Schönen unvermittelt stoppte, wuchsen in den Niederlanden längst nicht nur in den Gärten der Reichen Tulpen, sondern überall. Bis heute.

Nicht dass die Faszination für die seltene Tulpe verschwunden wäre. Kein Besucher des Keukenhof, der holländischen Massenabfertigung für Tulpenfreunde nahe der Universitätsstadt Leiden, geht, ohne sie zu sehen: Die „Queen of night“, die schwarze Tulpe. Auf Fotos ist die Queen fast schwarz, in Wirklichkeit ist sie lila. Dunkellila. Es gibt keine schwarze Tulpe, es gibt auch keine blaue. Aber es gibt jedes Jahr neue, und die kann man in den Keukenhof-Anlagen, immerhin 32 Hektar, bewundern. Über 5.000 Tulpensorten gibt es mittlerweile weltweit.

Nach den grauen Wintermonaten schmerzen die knalligen Farben der Tulpen, Hyazinthen, Narzissen im Keukenhof in den Augen. Busladungen in- und ausländischer Touristen werden täglich zu dieser Blumenshow gekarrt. Darunter die größten Fans der Tulpe: die Japaner. Japaner lieben Tulpen, haben den Keukenhof in Kleinformat in ihrem Land nachgebaut, zahlen immer noch hohe Preise für Zwiebeln, nämlich anderthalb Gulden pro Stück. „Ich weiß nicht warum“, staunt van Keeken, der auch regelmäßig Japaner führt. „Sie interessieren sich überhaupt nicht für Hyazinthen oder Osterglocken, von denen wir auch mehrere Sorten haben. Nur für Tulpen.“

Sieben Millionen Blumenzwiebeln versenken 30 Gärtner in der Erde des Keukenhofes, schön ordentlich in Grüppchen mit Namen des Züchters und Namen der Blume. Die gehen nicht aus: Princess Irene, Miranda, Melodie d’Amour heißen die Schönen. Hillary Clinton durfte auch schon mal eine heißen, denn die Besitzerin einer amerikanischen Bierbrauerei sucht dieses Jahr einen Namen aus.

Im Herbst landen die sieben Millionen Zwiebeln auf dem Müll – bis auf die, die der Hortus Bulborum übernimmt. Mit dem pflegt der Keukenhof nämlich mittlerweile eine enge Zusammenarbeit: Auf einer der Ausstellungsflächen wachsen die alten Tulpen. Immer mehr Besucher würden gerne diese Tulpen mit nach Hause nehmen, aber die Zucht lohnt sich nicht: Die alten Sorten bilden zu wenig Brutzwiebeln. Und eben mal so neue züchten, die genauso aussehen, geht auch nicht – eine neue Tulpensorte braucht zehn Jahre, bis sie auf den Markt kann – bis sie genügend Brutzwiebeln bildet.

Bevor im Sommer aber die Zwiebeln aus dem Boden geholt werden, um dann später an die Kunden verschickt zu werden, gehen erst mal die Blüten als Schnittblumen in alle Welt. Dafür haben die Niederlande nicht weniger als Aalsmeer, die größte Blumenauktion der Welt. 18 Millionen Blumen und fast 2 Millionen Pflanzen werden hier täglich versteigert, verarbeitet, über den nahen Flughafen verschickt.

Die chaotische riesige Halle durchzieht ein leicht bitterer Geruch nach Geranien. In den Auktionssälen sitzen die Blumenhändler wie Studenten in Vorlesungssälen an kleinen Pulten mit Laptops und Telefonen. Vor ihnen zwei Knöpfe, mit denen sie bieten können, an der Wand digitale Anzeigen, über die Zahlen, Namen und Preise surren. Auf Schienen wackeln die bis an den Rand gefüllten Blumenwagen aus der Halle vor die Händler, Helfer kippen kurz die Kübel: Pfeifen, Hoho-Rufe kommentieren das Angebot. Um neun Uhr, wenn die späten Touristen kommen, ist fast alles vorbei.

Tulpen sind kaum darunter, das Hauptgeschäft der Auktion sind Rosen. „Tulpen sind ein Saisongeschäft, eine Imagepflege für Holland“, sagt Jan Vriese, der Umweltschutzkoordinator der Auktion, und man merkt, dass ihn die permanente Assoziation Holland-Tulpen-Käse etwas nervt. Dabei waren die Tulpen einst ebenso eine Liebeserklärung, wie die Rose es heute ist. Und die wilde Tulpe, die Urahne der schönen Semper, ist vom Aussterben bedroht.

Information:

Hortus Bulborum: Zuid Kerkenlaan 23 A, Limmen. Öffnungszeiten: 10. April bis 15. Mai, 10 bis 17 Uhr, Sonntags 12 bis 17 Uhr, Tel: (0031) 7 25 05 29 81.

Keukenhof: Lisse, mit dem Zug von Amsterdam nach Leiden, dann Bus. Öffnungszeiten: 23. März bis 21. Mai, 8 bis 19.30 Uhr.

Bloemenveiling Aalsmeer, Bus 172 von Amsterdam. Öffnungszeiten: 7.30 bis 11 Uhr.

Literatur: Mike Dash: „Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte“. Hildesheim, Claassen 1999; Alexandre Dumas: „Die schwarze Tulpe“. Roman. Bergisch Gladbach, Bastei Lübbe 1998.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen