: Liebestoller Virus
Zehntausende Computer in Europa und den USA von „I love you“-Post überschwemmt. Otto Schily beruft Experten für Gegenmaßnahmen
BERLIN taz/dpa ■ „Wer eine Mail mit dem Betreff ‚I love you‘ erhält, muss sie sofort löschen.“ Die Mitarbeiter des Verlags Gruner + Jahr staunten nicht schlecht, als sie gestern über die Lautsprecheranlage diese Durchsage hörten. Doch die Unternehmensleitung wollte sie nicht mit Liebesentzug strafen. Grund für die Warnung war vielmehr ein E-Mail-Computervirus, der sich seit gestern Vormittag weltweit verbreitet und bereits zehntausende von Rechnern befallen hat. Die Nachricht mit der verlockenden Liebeserklärung im Betreff reproduziert sich und versendet sich automatisch an weitere Adressen. Einzige wirksame Gegenmaßnahme ist bisher, die Mail ungelesen zu löschen.
Durch die Massen von elektronischer Post sind in zahlreichen Unternehmen und Behörden die Computersysteme abgestürzt. „Es geht rasend schnell“, sagte eine Sprecherin von Symantec Deutschland. Der Fernsehjournalist Barry Collins sprach in London von dem „destruktivsten Virus“, den er jemals gesehen habe.
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) rief eine Expertengruppe ein, die Gegenmaßnahmen entwickeln und bereitstellen soll. Beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) werde zurzeit mit Hochdruck an der Analyse des Virus gearbeitet. Von den Störungen dieses neuartigen Massenvirus seien auch die Rechenanlagen der Bundesverwaltung betroffen, hieß es. Die verfügbaren Virenscanner seien nicht in der Lage, den Störenfried zu identifizieren. Bei dem Hersteller eines weit verbreiteten Anti-Viren-Programms gingen am Donnerstag über 1.000 Anrufe.
Im Londoner Unterhaus legte der Virus das gesamte interne Kommunikationssystem lahm. In Dänemark waren neben dem Parlament und mehreren Ministerien auch der größte Fernsehsender und eine Telefongesellschaft betroffen, und auch in der Schweiz meldeten die Bundesverwaltung sowie Banken und Kliniken Systemausfall.
Auch in Deutschland verbreitete sich der Virus rasant. Die niedersächsische Landesregierung und die Expo-Gesellschaft nahmen ihre Rechner vom Netz. Ansonsten gehörten Medienunternehmen zu den Hauptbetroffenen. Neben Gruner + Jahr klagten auch die FAZ und der Sender Pro 7 über große Probleme mit ihren E-Mail-Servern.
Der Virus verbirgt sich hinter dem harmlos klingenden Anhang „ILOVEYOU.txt.vbs“. Weil dieses Script in der Sprache „Microsoft Visual Basic“ programmiert ist, können nur Rechner befallen werden, auf denen das Betriebssystem Windows und das E-Mail-Programm Microsoft Outlook läuft, bestätigte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie. Apple- und Linux-Rechner sind nicht betroffen. mk/kuz
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