: Kampfhunde sind Ländersache
Die Innenministerkonferenz beließ es gestern bei einer Empfehlung zum behördlichen Umgang mit aggressiven Hunden. Nicht allein die Rasse, sondern die Gefährlichkeit soll entscheiden. Sondersteuern und Zwangskastration möglich
von HEIDE PLATEN
„Waff! Waff! Waff“ Diese engstehenden, blöden Augen, rosa entzündet und triefelig, der plumpe Rammskopf, der schwere, weiße Walzenkörper auf krummen Beinen, kurz: ein Bullterrier. „Sie freut sich doch nur“, sagt Frauchen. Genau das ist das Problem. Das sabbernde Tier springt, hüpft, zappelt und trampelt, wedelwackelt mit dem ganzen Hinterteil. Der Köter heißt Lieselotte, wird „Babymaus“ genannt – und weiß nicht, dass er ein Kampfhund ist.
Nach dem Empfehlungskatalog, den die Bundesinnenminister gestern in Düsseldorf verabschiedeten, könnten für Bullterrier, Pitbulls und Staffordshires bald Zucht- und Handelsverbote gelten. Entscheidend für Sanktionen, so die Innenminister, sei aber nicht nur die Rasse, sondern ebenso die Gefährlichkeit – auch bei anderen Rassen und Kreuzungen. Sie alle dürfen von den Kommunen höher besteuert werden. Einzelne aggressive Tiere können kastriert werden. Über die Maßnahmen können die Länder aber in eigener Zuständigkeit entscheiden.
„Babymaus“ würde nicht einmal dann kämpfen, wenn ihr jemand in das wackelnde Hinterteil träte. Sie würde sich in Demutsgeste auf die Erde werfen und winseln. Sie ist, wie die meisten Haushunde, nie erwachsen geworden und benimmt sich wie ein Welpe: ein typischer Fall von Domestikations-Infantilisierung. „Babymaus“ ist unerzogen, unberechenbar, gemeingefährlich. Sie ist eine Angstbeißerin.
Die Beschlussvorlage der Innenminister ist von der Arbeitsgruppe „Gefährlicher Hund“ erarbeitet worden und nimmt auch die Halter in die Pflicht. Sie müssen prüfen lassen, ob sie im Stande sind, mit ihrem Hund fertig zu werden. Dass schwer zu definieren sei, was eigentlich ein Kampfhund ist, haben Gegner des geplanten Gesetzes immer wieder gesagt. Rasse meint heutzutage, dass Pflanzen und Tiere ihre typischen Merkmale von Generation zu Generation weitervererben. Allerdings nur dann, wenn sie sich immer wieder untereinander paaren. Also Bernhardiner mit Bernhardinerinnen und Rehpinscher mit Rehpinscherinnen. Schon ein einziger Dackel dazwischen, und die teuren Varietäten sind Mischlingsköter, die in kürzester Zeit wieder zu archetypisch schlichten Tieren werden, mittelgroß und kurzhaarig, im Rudel jagend. Dingos und Parias, verwilderte Haushunde, leben in Australien und Asien.
Hunde finden sich schon auf steinzeitlichen Felsbildern und ägyptischen Wandgemälden als Jagdhelfer, Kampf- und Windhunde. Dass sie von Wölfen abstammen, ist mittlerweile unbestritten. Ob sie sich den Menschen als opportunistische Abfallsammler anschlossen oder diese sich der Hunde bemächtigten, darüber wird noch gerätselt. Heutige Rassen lassen sich jedoch nicht bis in die Vor- und Frühgeschichte zurückverfolgen. Mit den Kulturen verschwanden auch deren Kreationen. Ihre Vielfalt lässt sich nachvollziehen. Zoologen haben bei in Gefangenschaft gehaltenen Wölfen schon nach drei Generationen Deformationen durch Inzucht festgestellt: gekrümmte Beine, verlängerte oder verkürzte Ober- oder Unterkiefer, Fehlbildungen, seltener Mutationen, die durch Zuchtwahl Moden wurden.
So vielfältig wie die Hunderassen waren bisher die Umgehensweisen mit dem Problem Mensch/Hund in den Bundesländern. Sie reichten von saftiger Sonderbesteuerung bis zu Leinenzwang, Maulkorb, Hundeführerschein, Zwangshaftpflicht für Herrchen und Chipimplantaten für das Tier. Manche Ordnungsämter erstellen Dossiers über aggressive Tiere, andere über die Halter. Statistisch sind es nicht etwa die Kampfhunde, die besonders oft zubeißen, sondern Mischlinge, von denen es allerdings, ebenfalls statistisch, auch am meisten gibt. Schäferhunde, Dobermänner und Rottweiler gehören ebenso zu den Beißern wie die so genannten Kampfhunde.
Nachdem Länder und Kommunen teils widersprüchliche Verordnungen erließen, beschäftigen sich zahlreiche Gerichte mit Klagen empörter Hundehalter. Das Bundesverwaltungsgericht segnete inzwischen die höhere Besteuerung einiger Hunderassen ab, was von deren Haltern als „Rassismus“ und „Rassendiskriminierung“ gegeißelt wurde. Hessens Innenminister Bouffier sagte gestern zur neuen Beschlussempfehlung, eigentlich seien „ ja die Menschen und nicht die Hunde das Problem“.
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