: Generationswechsel im Kreml
Bei seiner Amtseinführung als Russlands Präsident demonstriert Wladimir Putin Modernität und Dynamik. Russland soll fortan ein moderner und demokratischer Staat sein. Doch die Wahl seines Premierministers aus dem Jelzin-Clan irritiert
aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH
Die Inszenierung war perfekt. Als Wladimir Putin kurz vor zwölf Uhr mittags im Kreml eintraf und den roten Teppich der endlosen, über drei Absätze laufenden Paradetreppe betrat, war er nur ein entfernter Punkt in der fixen Kamera. Festen Schrittes kletterte der neu gewählte russische Präsident die Stufen hinauf und füllte das Bild. Eine vieldeutige Symbolik, die nicht dem Zufall überlassen wurde. Mit Wladimir Putin, dem einfachen Beamten aus St. Petersburg, hat ein Mann das Amt des Präsidenten erlangt, der aus dem Volke stammt und von ihm gewählt wurde: Russland befindet sich auf dem Weg zu einem normalen demokratischen Staatswesen. Geführt von einem Politiker der jüngeren Generationein, der im Unterschied zum Vorgänger Boris Jelzin Kraft, Energie und Gesundheit verkörpert. Zar Boris hätte die hundert Stufen der Paradetreppe nur in einer Sänfte genommen.
Bis zum Krönungssaal des Kreml musste Putin noch zwei weitere Säle durchschreiten, und auch dabei verleugnete er seine Herkunft nicht. Wie ein Matrose beim ersten Landgang schlackerte das zu kürende Staatsoberhaupt durch ein Spalier von 1.500 geladenen Gästen. Ein spärliches Lächeln ließ er zu, wenn er nach links und rechts die Gäste grüßte. Als wollte er sagen: Ja, ich bin es, ich hab es geschafft, aber kann es noch nicht recht glauben.
Die eigentliche Krönungsfeierlichkeit verzichtete auf allen Pomp. Mit 6 Millionen Rubel (450.000 Mark) kostete die Veranstaltung weniger als ein Viertel der Inauguration Jelzins vor vier Jahren. Bewusst sollte der Eindruck des Beginns einer neuen Epoche erweckt werden. Dafür spricht auch, dass der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche Alexej II. keinen offiziellen Part übernahm. Er weilte lediglich unter den Gästen in der vorderen Reihe. Boris Jelzin wollte seinerzeit nicht auf den Segen des geistlichen Oberhauptes verzichten, dessen Kirche danach trachtet, in die Rolle einer Staatskirche hineinzuwachsen. Das neue Staatsoberhaupt unterstrich unterdessen den weltlichen Charakter des Staates. Und noch eine Geste sollte den Neuanfang bekunden. Unter den Ehrengästen befand sich auch der letzte Präsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow, den Intimfeinnd Boris Jelzin seit dessen Rücktritt 1991 von allen offiziellen Anlässsen fern gehalten hatte.
Ein schwerfälliger und aufgedunsener Jelzin betonte in einer kurzen Rede die historische Dimension der Präsidentschaftswahlen. Zum ersten Mal sei in der russischen Geschichte die Macht friedlich in die Hände eines Nachfolgers übergegangen. Im Unterschied zu seiner Generation, die sich vom sowjetischen Erbe nicht frei machen konnte, übernehme nun eine andere Generation das Ruder: „Wir müssen ein neues Russland bauen. Diese Aufgabe wird von einer jungen Generation von Politikern geleistet, die sich zu demokratischen Werten bekennen.“
Putin betonte in seiner eher geschäftsmäßg klingenden Ansprache, er wolle die Prinzipien einer offenen Gesellschaft befolgen und seine Arbeit durch die Bevölkerung kontrollieren lassen. Ein hoch gestecktes Ziel, das dem Präsidenten eine Menge Kopfzerbrechen bereiten wird. Nach wie vor dienen Staat und Macht in Russland vornehmlich ihren eigenen Interessen.
Wie erwartet ernannte Putin nach den Feierlichkeiten Michail Kasjanow zum Ministerpräsidenten und schürte damit erste Bedenken. Der ehemalige stellvertretende Premier- und Finanzminister gehört zur „Familie“, dem um Finanzberater und dubiose Geschäftemacher erweiterten Jelzin-Clan. Sie hatten die Inthronisierung Putins arrangiert, um möglicher Strafverfolgung zu entkommen.
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