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Nachtblaue Nutellakinder

Das „SZ-Magazin“ wird zehn Jahre alt. Das Supplement hat alle Artgenossen überlebt und tarnt den selbstreferentiellen Existenzerhalt als neue Perspektive. Heute feiert es nicht nur sich selbst

von ANJA MAURUSCHAT

Eigentlich geht es hier um was anderes, darum vorab schnell die Fakten: Es erschien als Letztes der so genannten Supplements nach FAZ- und Zeit-Magazin am 11. 5. 1990 und ist als Einziges noch am Leben. Es wurde überhäuft mit Auszeichnungen. Viele gute Leute arbeiten dort. Und manchmal macht es echt Spaß, das SZ-Magazin als Bonustrack nach der Lektüre des Mutterblattes zu genießen – wenn man selbiges, wie bei der Lokalausgabe leicht der Fall, nicht versehentlich mit den unzähligen bunten Werbebeilagen weggeschmissen hat.

Also: Glückwunsch! Das eigentlich Interessante am SZ-Magazin sind jedoch seine Macher. Der Oberschöpfer war Andreas Lebert, zusammen mit dem heute noch federführenden Christian Kämmerling. Lebert, der zuletzt das Ressort „Leben“ der Zeit konzipiert hat, gilt als „Lichtgestalt der Medienwelt“ (MediumMagazin), seitdem er bei der SZ den Magazinjournalismus neu erfand. Plötzlich wurden die Leser mit Geschichten verblüfft, die „um die Ecke“ gedacht waren, einen anderen Zugang zu Themen fanden. Und so liebten die Leser innerhalb kürzester Zeit dieses Heft, das sie nicht bestellt hatten, aber trotzdem bezahlen mussten.

Jesuitenschüler und DJ

Doch dann ging der „Rock-Gitarrist, der eigentlich mal Vertreter für Kaminhüte war“, 1996 zum marodierenden Stern und wurde als Chef des SZ-Magazins abgelöst von Ulf Poschardt, einem „Porschefahrer, ehemaligen Jesuitenschüler und inzwischen promovierten Philosophen, der nachts im P1 als DJ die Menge anheizt“, so Mitstreiter Kämmerling.

Ungefähr zur gleichen Zeit hauchte das Zeitgeist-Zentralorgan Tempo, das zehn Jahre lang mit fröhlichem Zynismus die geistig-moralisch gewendete Republik zelebriert hatte, in Hamburg sein Leben aus. Fast scheint es, als ob der Tempo-Geist spätestens mit Poschardts Amtsübernahme via Moritz von Uslar, Gabriele Herpell, Adrian Kreye, etc. Zuflucht im sonnig-soften Gehäuse des SZ-Magazins gefunden und Einfluss auf die neue „Philosophie“ des Magazins gehabt hat, die Kämmerling so gerne als „kubistischen Journalismus“ bezeichnet. Poschardt hingegen spricht immer vom „Perspektivwechsel“, davon dass es darum gehe, der zunehmenden „Stereotypisierung“ und „Nivellierung des Printbereichs“ im Informationszeitalter „Originalität und Kreativität“ entgegenzusetzen. Konkret heißt das: Ernst August wird als Satire auf Faktenbasis ein Prügel-Gen angedichtet oder BDI-Chef Olaf Henkel zu seiner existenzialistischen Jugend als Beatles-Fan interviewt. „Der Dialog ist dabei alltagsnah heterogen“, postuliert der 33-jährige Mittelfranke, der bei Friedrich Kittler („Da bin ich sehr stolz drauf“) seine Doktorarbeit über DJ-Culture geschrieben und danach als geremixtes Stan-dardwerk auf Rowohlt veröffentlicht hat. Denn, so Poschardt weiter in seiner akademischen Analyse: „Die Komplexität von Ideologien hat zugenommen. Auch ich bin ein 68er-Kind und von meinen Eltern im Kinderwagen mit auf Demos genommen worden. Aber sich eindeutig festlegen zu müssen, dass lehnen wir in der Redaktion ab, weil wir glauben, dass das die Stereotypisierung von Problemen nur vorantreibt.“

Mit dem Beliebigkeitsvorwurf gegen die oberflächliche Postmoderne allein ist es hier aber nicht getan. Kleiner Exkurs: Medienwirklichkeit wird konstruiert – von der taz genauso wie vom SZ-Magazin. Letzteres ist bloß in einen wesentlich mächtigeren Medienbackground eingebettet, wie das Anklicken einiger weniger Hyperlinks zeigt: So taucht Ulf Poschardt genauso wie Moritz von Uslar auf den Snap-Shots des Schriftstellers Rainald Goetz auf, der wie Uslar und die SZ-Magazin-Redakteurin Rebecca Casati zu dem Autorenpool der Internetseite www.ampool.de des Schriftstellerpaares Sven Lager und Elke Naters gehört, auf der u. a. auch Eckhart Nickel, Joachim Bessing und Christian Kracht (Tempo) ihre Alltagsimpressionen veröffentlichen und die wiederum mit Benjamin von Stuckrad-Barre letztes Jahr das Buch „Tristesse Royal“ vollgequatscht haben; damals, als Stuckrad-Barre gerade sein kurzes Gastspiel als Redakteur bei den Berlin-Seiten der FAZ gab, die wiederum von Florian Illies geleitet werden, der mit seinem soeben erschienenen Buch „Generation Golf“ über Wohlstandskindheiten in den 80ern so was wie den Subtext zum Romandebüt „Meine nachtblaue Hose“ des FAZ-Autors und Schriftstellers David Wagner geliefert hat.

Jacken, Hosen, Statuserhalt

Auch wenn diese Leute natürlich alle nicht Jacke wie Hose sind, könnte man das Mit- oder Übereinanderschreiben auf Gegenseitigkeit auch schlicht so bezeichnen: als die Selbstreferentialität der westdeutschen Nutellakinder. Man macht sich wichtig und erhält gleichzeitig Status wie Existenzberechtigung.

Denn Perspektivenwechsel sind echt prima, nur sollten es auch wirklich welche sein – und nicht nur Variationen der eigenen Weltanschauung. Es gibt z. B. tatsächlich Ostdeutsche, Migrantenkinder oder Modernisierungsverlierer. Und wenn diese schon mal im SZ-Magazin auftauchen, sollte das vielleicht nicht immer aus der zynischen Perspektive geschehen, denn nichts anderes ist z. B. eine Reportage über Bettler-Marketing. Genauso bleibt die Frage, ob das Spiel mit Stereotypen wirklich noch einen aufklärerischen Impetus hat oder nicht doch Ausdruck der eigenen snobistischen Ignoranz ist.

Bleibt also zu hoffen, dass auch Moritz von Uslar mal erwachsen wird und erkennt, dass beispielsweise lila Jeansjacken kein wahrer Grund zur Menschenverachtung sind und die Frage an Charles Schumann – „Könntest du dir vorstellen, Frauen mit kleinem oder mittelgroßem Busen zu lieben?“ – ziemlich doof und ein Armutszeugnis seiner selbst ist.

Jenseits von Torte futtern und Kerzen ausblasen also nur dieser Hinweis am Rande, wer mit wem seit wann warum welche Medieninhalte macht. Abschließend also der Geburtstagswunsch für die Zukunft: ein klitzekleineswinzigesbisschen mehr minima moralia. Bitte. Wäre das möglich? Danke, ganz lieb. Bussi!

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