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Wen der Stachel sticht

■ Ein Jahr unterm Regenbogen für eine neue Linke: Ariane Dandorfer vom Vereinsvorstand und Heike Sudmann, Gruppensprecherin in der Bürgerschaft, im taz-Interview über Basis und Projekt, Strukturen und Heuchelei, Rot-Grün und die Kandidatur für die Bürgerschaft

taz: Seit einem Jahr sind Sie nicht mehr GALierin, Frau Sudmann. Wie ist das werte Befinden?

Heike Sudmann: Das Gefühl, nicht mehr GALierin zu sein, ist absolut gut. Wenn ich mir angucke, wie die GAL in Hamburg und die Grünen auf Bundesebene sich entwickeln, muß ich feststellen dass vieles von dem in Vergessenheit geraten ist, was mir wichtig war und ist. Das ist keine Partei, in der ich arbeiten möchte. Ich habe die Entscheidung nicht eine Sekunde lang bereut.

Obwohl dieser Schritt zum Beispiel für Sie persönlich nach der nächsten Bürgerschaftswahl das Ende der Politikkarriere bedeuten könnte?

Sudmann: Das ist mir von vielen gesagt worden, auch von Grünen, die mich vor einem Jahr davon überzeugen wollten, in der GAL zu bleiben. Aber es war nie Teil meiner Lebensplanung, politisch aufzusteigen oder gar nach einem Senatorinnenamt zu schielen. Karriere ist das eine, Grundsätze das andere. Ich bin da, glaube ich, ziemlich unflexibel.

Ariane Dandorfer: Für mich hat das nie eine Rolle gespielt. Ich war nie in der GAL, ich bin im vorigen Sommer bewusst zum Regenbogen gegangen, wie viele andere auch. Denn Regenbogen ist ja nicht einfach nur ein Sammelbecken enttäuschter Grüner, es ist ein eigenständiges politisches Projekt. Das macht den Reiz aus.

Regenbogen erklärte damals unter anderem, Ansprechpartner sein zu wollen für Initiativen, Vereine und Gruppen, zu denen die GAL den Kontakt bereits verloren habe. Ist dieser Anspruch der Basisnähe eingelöst worden?

Dandorfer: Ja, auch ich bin über eine Stadtteilgruppe zum Regenbogen gekommen.

Sudmann: Es sind sehr viele Gruppen und Inis auf uns zugekommen, und wir sind auf sie zugegangen. Es gibt einen großen Bedarf an neuen AnsprechpartnerInnen im politischen Raum für Menschen, die sich von den Grünen schon lange nicht vertreten fühlten. Da ist der Regenbogen attraktiv, das merken wir auch an der Resonanz auf unsere Veranstaltungen.

Lautsprecher einer Basis zu sein, mag ja ganz nett sein. An der Umsetzung aber hapert es.

Sudmann: Kein bisschen. Natürlich haben wir nicht die Möglichkeit, 100 Prozent durchzusetzen...

Reicht es denn wenigstens für fünf Prozent?

Sudmann: Aber locker. Zum Beispiel die Hamburger Debatte über die Entschädigung der NS-ZwangsarbeiterInnen ist nur vom Regenbogen angeschoben worden. Wir haben die Öffentlichkeit hergestellt, die schließlich die parlamentarische Mehrheit aus SPD und GAL in Zugzwang gebracht hat. Sie mussten dann einen Beschluss in der Bürgerschaft fassen, der mir persönlich noch immer nicht weit genug geht, der aber bundesweit vorbildlich war.

Auch in der Flüchtlings- und Sozialpolitik machen wir Rot-Grün Dampf und zwingen gerade die Grünen dazu, in der Koalition mit der SPD einen gewissen Druck zu machen. Von alleine würden sie das gar nicht mehr tun.

Erschöpft sich die Legitimation des Regenbogen darin, der linke Stachel gegen Rot-Grün zu sein?

Sudmann: Erschöpfen auf keinen Fall, aber wenn der Stachel sticht, ist mir das recht. Und das tut er. Und wenn dann Rot-Grün was Gutes macht, was selten vorkommt, kann ich das auch problemlos anerkennen.

Die Bürgerschaftsgruppe nimmt häufig Positionen ein, die sie nicht äußerte, als die fünf Abgeordneten noch Teil der rot-grünen Regierungskoalition waren. Woher kommt dieser Meinungsumschwung? War das damals Heuchelei oder ist es sie jetzt?

Sudmann: Der Vorwurf trifft nicht. Wir und auch ein paar andere, die in der GAL-Fraktion geblieben sind, haben auch schon damals mit unserer Kritik nicht hinterm Berg gehalten. Da gibt es keinen Meinungsumschwung...

Interne Moserei hinter verschlossenen Türen wird in der Öffentlichkeit aber nicht wahrgenommen.

Sudmann: Es war nie ein Geheimnis, dass ich 1997 gegen den Koalitionsvertrag gestimmt habe. Die Mehrheit in der Partei war dafür, das musste ich akzeptieren und dann versuchen, alles aus diesem Vertrag herauszuholen. Und dabei nehme ich für mich in Anspruch – und das gilt auch für die vier anderen in der Bürgerschaftsgruppe – auch öffentlich immer gesagt zu haben, was wir denken.

Zum Beispiel bei der Arena: Da habe ich jahrelang gesagt, was schlecht ist, was noch geklärt werden muss, wo die Probleme liegen. Und die letzte Debatte am Mittwoch in der Bürgerschaft hat gezeigt, dass Rot-Grün noch immer keine klaren Antworten geben kann.

Der Regenbogen ist offiziell noch immer ein Verein. Wann wird er in Regenbogen-Partei umbenannt?

Dandorfer: Welche Organisationsform Regenbogen annimmt, wird sich vermutlich bis Ende dieses Jahres klären. Wir sind keine Partei, wir arbeiten nicht so und sind auch nicht so strukturiert. Der Regenbogen ist kein geschlossener Club, für den man Eintrittsgeld zahlen muss, bevor man mitreden darf.

Aber Mitglieder gibt es schon.

Dandorfer: Ja, natürlich, aber das ist nicht Voraussetzung für Beteiligung. Der Regenbogen ist ein offenes Projekt.

Und wird am 30. Mai beschließen, zur Bürgerschaftswahl im Herbst 2001 anzutreten.

Dandorfer: Wir werden auf der Mitgliederversammlung darüber diskutieren, ob wir das wollen. Es steht noch nichts fest.

Stand schon vor zwei Wochen in der taz hamburg, dass der Regenbogen antreten wird.

Sudmann: Das war eine Interpretation einer Tatsache, die es noch gar nicht gibt. Aber die taz ist ja bekanntlich weitsichtig.

Dann sieht sie mal voraus, dass am 30. Mai der Regenbogen offiziell beschließen wird, bei der Wahl zu kandidieren.

Dandorfer: Ich persönlich bin auch dafür.

Dann dürfte das Ziel auch lauten, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und in die Bürgerschaft einzuziehen?

Dandorfer: Ja, sicher wollen wir das.

Also Parlamentsfixiertheit von Anfang an?

Dandorfer: Nein. Unser Ziel ist, auch weiterhin als politisches Projekt zu überleben, wenn wir den Wiedereinzug in die Bürgerschaft verpassen sollten. Der Verein ist darauf angelegt, außerparlamentarische Strukturen zu stärken, er ist kein Wahlorganisationsgremium.

Das erinnert mich an Diskussionen unter den Gründungs-Grünen vor 20 Jahren.

Dandorfer: Die sind außerparlamentarisch gestartet und haben sich dann in die Parlamente hinein entwickelt. Unser Ausgangspunkt ist völlig anders: Wir sind bereits in der Bürgerschaft. Auch die Inititiativen und Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten, wollen, dass wir diese parlamentarischen Möglichkeiten nutzen.

Sudmann: Klar ist, dass wir einen parlamentarischen Arm haben wollen. Das können wir auch als Wählervereinigung tun; Partei klingt für mich eher abschreckend.

Dem Regenbogen wird zur Zeit von Meinungsforschern für die Bürgerschaftswahl 1 Prozent prognostiziert. Klingt das auch abschreckend?

Dandorfer: Für eine Gruppierung, die noch nicht mal verkündet hat, dass sie antritt, ist das kein schlechtes Ergebnis.

Das Ziel lautet 5 Prozent plus X?

Sudmann: 5,1 plus X. 5 Prozent wäre mir zu aufregend am Wahlabend.

Was wünscht der Regenbogen der GAL bei der Wahl?

Sudmann: Da habe ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht. Aber ich denke, die wollen auch wieder in die Bürgerschaft.

Interview: Sven-Michael Veit

Fotos: Jule Fritzsche

Zitate:

„Das Gefühl, nicht mehr in der GAL zu sein, ist absolut gut. Das ist keine Partei, in der ich arbeiten möchte. Ich habe die Entscheidung nicht eine Sekunde lang bereut“: Heike Sudmann

„Der Regenbogen ist kein Sammelbecken enttäuschter Grüner, es ist ein eigenständiges politisches Projekt. Es ist darauf angelegt, außerparlamentarische Strukturen zu stärken“: Ariane Dandorfer

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