: Supercool giggelndes junges Gemüse
■ Große Qualitätsschwankungen zeichnen das Oldenburger Festival für junge Theaterleute aus. Ein Halbzeitbericht
Supercoole, kurzgeschorene Jungs mit Technosonnenbrille und kichernde, giggelnde Teenagerfrauchen bevölkern derzeit die Oldenburger Kulturetage. Tatsächlich: Junges Gemüse beim gleichnamigen NewcomerInnenfestival. Das heißt: Mädchen in bestickten Schlaghosen und in Smokhemdchen mit Tunnelzug – da hätte man mich früher reinprügeln müssen! Und somit ist es dann vielleicht auch kein Wunder, dass die Theatersprache dieser Retrogeneration für eine Fastvierzigjährigekritikerin (puh, jetzt ist's raus) dann nicht immer so ganz nachvollziehbar ist. Oder lag es an der Ankündigung, dass man einfach mehr erwartet hat, als streckenweise SchülerInnentheater?
Jedenfalls von Friederike Hellers Stück „Etwas ist faul in D.“, einer waghalsigen Konstruktion, in der Enid Blytons „Fünf Freunde“ auf einer Schatzinsel mit einem Mord konfrontiert werden. Das Opfer ist kein geringerer als Hamlets Vater. Die Fünf – Ann, Georgette (die lieber George heißt), Dick, Julien und der Hund Timmie – verstricken sich in ein wildes Abenteuer, schlüpfen in die Rollen des klassischen Stoffes. Da wird dann pubertäre Wut mit einer Eisenstange an einer Badewanne ausgelassen, sehr, sehr existentielle Sprüche an die Wand geschmiert und außerdem spielen Schwimmhilfen natürlich auch noch eine Hauptrolle. Und: „Nimm Zwei“-Bonbons, Ice Tea (der freundliche Sponsor) sowie jede Menge Kuscheltiere.
Das ist hübsch und quillt nur so über vor Ideen. Nur: Vivien Mahler als Hamlet alias George ist einfach unerträglich plakativ. Und die Regie hätte gut daran getan, das ganze Stück zu entrümpeln und auf wesentliche Themen zu konzentrieren: Kindheitstraum(a) und Geschlechtsidentität. Denn sowohl George (alias Georgette) als auch Hamlet sind ja Suchende, schlittern durch ihre Zwitterposition zwischen Mann und Frau, Schuld und Sühne, Sehnsucht und Ablehnung hin und her. Das hätte stark werden können, die Ansätze sind da!
Ganz am Anfang stehen die AkteurInnen des „Vooropleiding Theater Groningen“. In dem Stück „Ero(t)ica“ verstrickt sich ein Junge in seinen erotischen Phantasien, auf ein Sofa gelümmelt, die Hände nervös gefaltet. Diese Kopfgeburten werden Realität: Sechs junge Mädchen tänzeln immer wieder lasziv um ihn rum, nehmen die Posen seiner Erwartungen ein. Immer schneller dreht sich das Mädchenkarussell, amüsiert, dann irritiert stößt der Junge die Mädchen zurück.
Die Verfügungsgewalt männlichen Begehrens wird hier frech und direkt entmystifiziert, gerade weil es absurd anmutet, wenn Dreizehnjährige sich lasziv über die Schenkel fahren und orgiastisch stöhnen, sichtlich nicht wissend, wie sich das eigentlich wirklich anfühlt. In der Groninger „Vooropleiding“ erarbeiten Teenager projekteweise verschiedenste Darstellungsformen zwischen Tanz- und Theater, um sich dann – nach einer strengen Selektion durch die Lehrer – an den Schauspielschulen und Akademien zu bewerben. Insofern war diese Aufführung eher informativ, denn künstlerisch wegweisend.
Eine schon sehr ausgereifte Arbeit zeigte das Oldenburger Uni Theater „OUT“. Matthias Grön, der in Wuppertal Regie gelernt hat, brachte in nur sieben Wochen das Kunststück fertig, professionelle Folkwang-TänzerInnen und Oldenburger StudentInnen des „OUT“ Szenen nach Oliver Sacks Fallstudien ausimprovisieren zu lassen. Das Stück „Und draußen die Sahara“ ist eher eine Szenische Collage mit groteskem Unterton. Ständig werden die Rollen von Therapeuten und Patienten getauscht, und damit auch von Tänzern zu Schauspielern und umgekehrt.
Roberto Morales und Jasna Virnowky (beide Folkwang) finden sich so unversehens zu zweit in einem Hochzeitskleid eingepfercht – sie reißt ihn mit ihrer irren Vitalität davon. Und als Gegenstand diag-nostischer Begierde zeigt die Tänzerin in einem absurden Dialog mit dem talentierten Jan Mattenheimer („OUT“) einen umwerfenden Sinn fürs Komödiantische. Trotz einiger Längen und bisweilen wenig erhellenden, symbolbeladenen Szenen ein Stück, das zeigt: „homegrown“ ist oft nicht das Schlechteste.
Diesen regionalen Bezug hätte das Festival lieber stärker betonen sollen, statt unterschiedlichste Niveaus bis hin zum SchülerInnentheater durcheinander zu mixen.
Marijke Gerwin
Die nächsten Aufführungen des Uni-Theaters „OUT“: Am 17. Mai, 20 Uhr in der Oldenburger Kulturetage, Bahnhofstraße 11, und am 20.-23. Mai, 20 Uhr, im „Unikum“, Schwimmbadpassage der Uni Oldenburg am Uhlhornsweg. Karten gibt es im Kulturbüro des Studen-tInnenwerkes. Die nächsten Termine des NewcomerInnenfestivals „Junges Gemüse“: Heute Abend, 20 Uhr, Katja Glaub in „Odessa ist nicht Moskau“; 16. Mai, 11.30-18 Uhr: Informationstag über Theaterberufe; 18. Mai, 20 Uhr: Zwei Spielfilme des Regisseurs Sebastian Schipper; 19. Mai, 20 Uhr: Lesung mit dem Autor Benjamin von Stuckrad-Barre; 20 Mai, 20 Uhr: Branko Simic in „Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch“. Alle Veranstaltungen finden in der Kulturetage statt.
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