schnittplatz : Außer Kontrolle
Die gestern zu Ende gegangenen „33. Mainzer Tage der Fernseh-Kritik“ sind eine löbliche Veranstaltung. Hier treffen sich alljährlich Kritiker und Kritikaster, um über ihren Beruf und das Medium als solches zu reflektieren. Der pfiffigen Frage „Was sagen die Bilder – und was nicht?“ ging eine Runde unter Leitung von Roger Willemsen nach, will heißen: Welche Wirklichkeit lässt sich mit Bildern konstruieren, welche unterschlagen? Nun kann es das Fernsehen als zentrales Herdfeuer unserer Zivilisation vertragen, wenn man ab und an hineinspuckt – doch hat dieser Tage unversehens ein Printmedium an Würde und Gewicht verloren: mit dem SZ-Magazin hat es ausgerechnet den Coolness-Generator der uncoolen, aber seriösen Süddeutschen Zeitung erwischt.
Und zwar knüppeldick. Rechtzeitig zur Jubiläumsausgabe am vergangenen Freitag – die wegen eines Druckerstreiks erst am Montag der Zeitung beilag – meldete der Focus, das SZ-Magazin habe seine süffigen Interviews mit Sharon Stone, Kim Basinger, Brad Pitt oder Courtney Love nie geführt. Die lässige Heiterkeit, mit der Hollywood-Größen angegangen wurden, ensprang offenbar dem literarischen Übermut des L.A.-Korrespondenten – 1999 trennte sich das SZ-Magazin von Tom Kummer. Der hatte mit Worten die Wirklichkeit konstruiert, dass das Magazin einen erfrischend anderen Journalismus betreibt.
In der jüngsten Ausgabe legen die Münchener nochmal nach: Nicht auf drei, nicht auf acht, sondern auf 38 Seiten liefert das Magazin gefälschte Bilder von seiner Geburtstagsfeier: Zwischen den Redakteuren tummelt sich, deutlich erkennbar digital hineinmontiert, Prominenz von Ghaddafi über Kohl bis zum Papst und Günter Grass, der mit Madonna einer Limousine entsteigt. Courtney Love war auch da. „Was sagen die Bilder – und was nicht?“ Sie sagen: „Eine Profilneurose ist eine Profilneurose ist eine Profilneurose“. Und sie verschweigen, dass auch die Süddeutsche Zeitung einen Ruf zu verlieren hat.
ARNO FRANK
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