Ist das die Hölle?

Ein klaustrophobischer Raum und ringende Schmarotzer: Mayenburgs „Parasiten“ im Malersaal  ■ Von Karin Liebe

Keine Hoffnung, nirgendwo. Nicht für die fünf Personen da unten im Scheinwerferlicht, auf die wir Zuschauer hinabblicken wie auf Ringkämpfer oder Raubtiere in einer Zirkusarena. Nicht für uns. 90 Minuten sehen wir Friderike, Petrik, Betsi, Ringo und Multscher zu, wie sie sich selbst und gegenseitig aussaugen und zerfleischen und warten beklommen auf den erlösenden Befreiungsschlag, den, wenn es denn sein muss, blutigen Showdown. Nein, keine Hoffnung. Zum Schluss bleiben alle lebendig und in schwärzester Dunkelheit auf engstem Raum zusammen – ist das die Hölle?

Sein Talent für klaustrophobische Konstellationen hat der 28-jährige Dramatiker Marius von Mayenburg schon in „Feuergesicht“ bewiesen, das letztes Jahr im Malersaal unter der Regie von Thomas Ostermaier uraufgeführt wurde. Gleiche Stelle, gleicher Regisseur: Auch in „Parasiten“ geht es um verzweifelte Ausbruchsversuche aus symbiotischen Beziehungen – diesmal allerdings nicht aus den Klauen der Herkunftsfamilie, sondern aus unheilvollen Verstri-ckungen mehr oder weniger freiwillig eingegangener Verbindungen.

Zwei junge Paare und ein alter Mann können voneinander nicht lassen. Da ist Friderike (Karin Pfammatter), hochschwanger und selbstmordgefährdet. Ihr Mann Petrik (Tilo Werner) füttert lieber seine Schlange statt Friderike davon abzuhalten, sich aus dem Fenster zu stürzen. In zynischer Hilflosigkeit gibt er ihr den Rat, beim freien Flug doch gleich den stinkenden Müll mit zu entsorgen. Und da ist Friderikes Schwester Betsi (Inka Friedrich), die ihren Mann Ringo (Mark Waschke), der seit einem Autounfall im Rollstuhl sitzt, eher pflichtbewusst als liebevoll versorgt.

Plötzlich taucht noch Multscher (Werner Rehm) auf, der Mann, der Ringos Autounfall schuldhaft verursacht hat. Das Erstaunliche an dieser Person ist, dass er gerade nicht den Katalysator spielt, den man erwartet hat. Er ist ebenso ein Schmarotzer wie alle anderen. Der vereinsamte alte Mann badet in Selbstmitleid und nistet sich in der Wohnung von Betsi und Ringo ein, in der mittlerweile auch die verstörte Friderike haust. Als sich kurz darauf noch Petrik, der verlassene Ehemann von Friderike, wie ein Hund auf dem Fußabtreter vor der Wohnungstür zusammenrollt, sind alle Parasiten beisammen.

Und alle reden und reden und machen sich Vorwürfe und machen sich nieder. Thomas Ostermaier verlässt sich ganz auf die verbale Kraft des sprachgewaltigen Stücks. Keine Mätzchen, keine Videoprojektionen oder Mikros, kaum Musik. Nur eine hohe weiße Stellfläche zeigt die Abgeschlossenheit zur Außenwelt auf der halbkreisförmigen, stickig engen Bühne, die alle klaustrophoben Wohnzimmer dieser Welt in einem durchgesessenen Sofa und zwei Stühlen vereint. Lebendig ist allein die Schlange im Terrarium. Einmal hängt sie Petrik sich um den Hals. Da fühlen wir uns wieder wie in der Zirkusarena.

Es sind die Schauspieler, die das hochgradig konstruierte und konzentrierte Stück tragen müssen – und sie tun es tapfer. Karin Pfammatter spielt die kaputte Schwester wie eine Drogenabhängige auf Entzug. Ein Bild des Jammers, wie sie permanent zitternd, aus vielen Wunden blutend, auf wackligen, ständig einknickenden Beinen immer kurz vorm Zusammenbruch steht. Und doch weiß sie im rechten Moment genauso treffsicher zu verletzen wie alle anderen. „Der Krüppel stinkt“, sagt sie zu ihrem Schwager.

Der leidet still, dann schießt er zurück. Sein Opfer ist Multscher. In einem erbitterten Zweikampf ringen die beiden einmal nicht nur mit verbalen Geschossen, sondern auch körperhaft miteinander. Der Rollstuhl kippt um, Ringo fällt zu Boden. Erst sieht es danach aus, als würde Multscher den Wehrlosen erwürgen. Doch der entwickelt eine erstaunliche Kraft und siegt nach Punkten.

Wir schauen auf die Arena hi-nunter und fühlen uns irgendwie betrogen. Kein befreiender Knockout, nur Sieger nach Punkten, die in einem anderen Zweikampf erneut verlieren werden. Die letzte Runde steht noch aus.

weitere Vorstellungen: heute, 22. bis 24. Mai, 1. bis 4. Juni, jeweils 20 Uhr, Malersaal