zahl der woche: Der Teufel steckt im Prozent
VON AKTIENEUPHORIE UND MATHEMATIK
Qualcomm plus 2.220 Prozent, Ventro plus 1.500 Prozent, Intershop plus 1.390 Prozent – im März, in der Hochphase der Interneteuphorie, wurden uns solche Zuwächse reihenweise um die Ohren gehauen. Auch wenn es seitdem mancher Firma schlechter geht, die Raten, mit denen ihre Aktien fallen, nehmen sich bescheiden aus. Ventro etwa ist seit März zwar gesunken, aber doch nur um 91 Prozent. Halb so wild, oder?
Von wegen. Ventro, die den Internethandel zwischen Firmen organisiert, ist nur noch rund 22 Dollar wert – gerade 50 Prozent mehr als ihr Tiefstand von 15 Dollar. Ups! Wo ist der Rest der 1.500 Prozent geblieben?
Ein anderes Beispiel: Die Telekom konnte ihren Wert zwischen Dezember und März von rund 60 Euro auf knapp 104 steigern, macht plus 73 Prozent. Seitdem verlor sie 42 Prozent. Nicht so schlimm, würde man auf den ersten Blick denken. Falsch! Die T-Aktie dümpelt nämlich wieder bei den ursprünglichen 60 Euro.
Das ist das Gemeine am Prozent. Und der Grund, warum so mancher in der Schule an Prozentrechnung verzweifelt. Eigentlich soll sie uns das Leben erleichtern, indem sie alle Zahlen auf eine feste Bezugsgröße bezieht, auf Teile von Hundert nämlich.
Im Vorteil liegt auch der Nachteil. Das Prozent wechselt nämlich ständig seinen Bezugspunkt. Dies sei an der Telekom erklärt: Die Differenz zwischen 60 und 104 Euro beträgt 44 Euro. Beim Anstieg muss man die 44 Euro Wertzuwachs auf die ursprünglichen 60 Euro beziehen. 44 geteilt durch 60 macht 0,73 – anders ausgedrückt: 73 Prozent. Beim Kursverfall muss man die Differenz nun auf 104 beziehen. 44 durch 104 sind aber bloß 0,42 – also 42 Prozent. Das Missverhältnis der Prozente wird umso größer, je stärker der Kursunterschied ist. Bei Ventro, dessen Kurs zwischendurch auf 244 Dollar kletterte, kommen dann 1.500 Prozent plus raus. Mehr als 100 Prozent kann die Aktie aber nicht sinken, denn dann ist sie nichts mehr wert.
So hört man Tag für Tag von riesigen Zuwächsen und vergleichsweise kleinen Verlusten. Der Glaube, dass es mit der Börse unterm Strich immer nur bergauf geht, liegt auch ein wenig an der Mathematik.
MATTHIAS URBACH
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