IN ITALIEN IST DAS REFERENDUM ZUR WAHLRECHTSREFORM GESCHEITERT: Vertane Chance
An das Bild haben sich die Italiener mittlerweile gewöhnt: Die Wahllokale schließen – und auf allen TV-Kanälen strahlt Berlusconi, dagegen ziehen die Vertreter der Linksdemokraten lange Gesichter. So war es im Juni 1999 nach den Europawahlen und der Eroberung des roten Bologna durch die Rechte, im April 2000 nach den Regionalwahlen, und so war es auch am Sonntagabend nach dem Wahlrechtsreferendum. Nach jeder Wahl folgt die selbstkritische Analyse, beklagen die Linksdemokraten den Verlust des Kontakts zur eignen Wählerschaft – und machen dann weiter wie bisher.
Kaum ein Wähler kann sich für Wahlrechtsfragen begeistern, für Bündnisphilosophien, für Verfassungstheorien. Renten, Arbeitsplätze, der Verkehr in den Städten – das sind die Probleme, die den Italienern auf den Nägeln brennen. Auf diesen Feldern hätte eine Linkspartei zu zeigen, was sie anders macht. Auf diesen Feldern aber war von den Linksdemokraten über Jahre wenig zu vernehmen. Stattdessen gab’s die immer gleiche Litanei: „Neue Regeln“ brauche das Land, neue „politische Subjekte“. So sei dann endlich die „Regierbarkeit“ gewährleistet; der Rest werde sich schon finden.
Er fand sich nicht. Schlimmer noch: Seit 1996 regieren die Linksdemokraten im Verein mit den Partnern der „Olivenbaum“-Koalition – und nicht einmal bei den „Regeln“ haben sie Nennenswertes bewegt. Die Verfassung von 1947 ist weiterhin in Kraft, das allseits geschmähte Wahlgesetz von 1993 gilt unverändert. Derweil zerfiel das neue Linksbündnis in neun zerstrittene Parteien, wurde die Befassung mit Wahl- und Verfassungsreform zum ebenso folgenlosen wie langweiligen Hin und Her zwischen verschiedenen Modellen. Zwei stabile politische Lager wollten die Linksdemokraten dem Land bescheren – und schafften es noch nicht mal, im eigenen Bündnis für Zusammenhalt zu sorgen.
Die Chance auf einen linken Sieg ist für den nächsten Wahlgang wohl verspielt. Den Linksdemokraten kann es nur noch um Schadensbegrenzung gehen, nur noch darum, die drohende Existenzkrise von der Partei abzuwenden. Dieses eine Mal wären sie gut beraten, mit Berlusconi einen Wahlrechtskompromiss zu suchen und die selbstmörderische Fixierung auf das Mehrheitswahlsystem endlich aufzugeben. Mehrheitswahl – das hieße nicht nur eine verheerende Niederlage binnen Jahresfrist, das hieße auch permanenter Zwang zur Allianz mit anderen Parteien. Von einem Wahlrecht nach deutschem Muster kann die Linke nur profitieren: Endlich wieder könnte sie sich unbelastet durch dubiose Bündnispartner ihren Wählern stellen – und in der Opposition die zehn Jahre lang verschlafene programmatische Erneuerung in Angriff nehmen. MICHAEL BRAUN
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