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Musikwelle für die Netz-Surfer

In Berlin-Mitte wird jetzt Radio für die ganze Welt gemacht: „Das Webradio“ sendet rund um die Uhr ausschließlich über das Internet. Surfer können sich Wartezeiten mit Musik unterlegen und auch darüber abstimmen, ob ihnen das Gedudel gefällt

von MARTIN REICHERT

„Es flimmert und ist in“. So lautete der Kurzkommentar eines EDV-Fachmannes angesichts der Website von „Das Webradio“. Das Flimmern bezog sich auf die animierte Präsentation, das „in“ auf den notorischen Internet-Boom: Unter www.dasWebradio.de ist seit Anfang der Woche „Deutschlands größtes Internet-Radio“ zu empfangen.

Die Prahlerei meint nicht nur den 18-Millionen-Mark-Etat, 10 davon gibt die „Webcast Media Group AG“ allein für Werbung aus, sondern vor allem die eigens entwickelten technischen Standards: Dank eines neuartigen „Streaming“-Verfahrens können bis zu 500.000 Hörer gleichzeitig einschalten, andere Online-Radios müssen bei spätestens 5.000 passen.

Vom glasstählernen Studio in Berlin-Mitte aus soll daher auch gleich die ganze Welt versorgt werden, eingeschlossen die Pfalz und die kanadischen Wälder. Mit „Jeanny in a bottle“, Eiffel 65 und stündlichem Newsflash. Die 12-Uhr-Nachrichten vom Dienstag gingen so: Ernst-Dieter Lueg ist gestorben. Lothar Matthäus geht vielleicht nach Unterhaching. Zum Wetter. Das mag an der Zielgruppe liegen, deren Alterstruktur zwischen 14 und 29 angesiedelt ist. Unterboten wird diese Marke nur von den Radiomachern selbst. Der jüngste DJ („WebJ“) im Sender ist erst 13 Jahre alt. Als Einstiegsvorausetzung wäre somit der Grundschulabschluss zu nennen.

Der aus England stammende Programmchef Nick Maloney, der seinen nicht gerade britisch zu nennenden Humor lange bei 104.6 RTL unter das Berliner Volk bringen durfte, will ein blutjunges Team für das Webradio. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, mit seinen 33 Jahren selbst noch im voll digitalisierten Studio zu stehen, um die „Hitz im Netz“ zu moderieren. Bananen essend freut er sich über die vielen Möglichkeiten des neuen alten Mediums, etwa dass die Zuhörer online abstimmen können, welche Musik ihnen gefällt.

Maloneys Kollege Stefan Henkel war früher bei rs 2, moderiert jetzt im Webradio und hat die 30 auch schon überschritten, aber es gibt auch Rob Szymoniak. Der hat gerade erst Abitur gemacht. Samstags moderiert er beim MDR die Sendung „Sputnik“, jetzt hat er auch eine tägliche Show im Webradio. „Bei der ersten Sendung dachte ich: Kein Schwein hört mir zu“ gesteht Szymoniak, während er nach der Banane seiner Kollegin schielt „aber die sitzen eben nicht im Auto oder mit anderen zusammen, sondern allein vor dem Rechner, der Kontakt ist eher direkter.“ Die Zielgruppe bewertet er realistisch mit Surfern, die sich die langen Wartezeiten im Netz mit Musik vertreiben wollen: Die Radioseite wird einfach minimiert, nur das kleine Playerfenster bleibt sichtbar. Wenn der Arbeitsspeicher ausreichend ist, darf fröhlich weitergeklickt werden.

Als vollwertiger Radioersatz scheint das Medium noch nicht geeignet, es sei denn, die Telefonrechnung spielt keine Rolle. Bei einem Billigst-Provider kostet Internetradio mindestens 1,50 Mark pro Minute. Preisgünstigere Standleitungen, in Amerika längst üblich, sind in Deutschland noch in weiter Ferne.

Die 69 Köpfe zählende RadiomacherInnenschar, aufgekratzt und erschöpft zugleich vom Dauervorbereitungsstress, blickt dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft: Die Technik hat nicht versagt, die Industrie hat bereits fleißig Werbespots geschaltet, und seit Montag haben schon 400.000 Surfer reingehört. Der Kurs steht auf Expansion, die Multimediamöglichkeiten sind noch gar nicht ausgereizt.

Im Übrigen können Mitarbeiter, die bei all der Dynamik mal eine Pause brauchen oder fit für den Fun sein müssen, kostenlos Sauna und Fitnesstudio im Haus nutzen. Und im 5. Stock gibt es für alle jeden Tag Bananen.

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