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Wehrkommission wundert sich

Mitglied der Wehrstrukturkommission kritisiert Scharpings Parallelaktionen als „Affront“. Es habe „sehr heftige“ Versuche der Einflussnahme gegeben. Die Friedensbewegung sieht eine historische Zäsur und beklagt die Militarisierung der Außenpolitik

aus Frankfurt/Main HEIDE PLATEN

Der Maulkorb ist weg – und schon wird laut, was vorher nur gemunkelt wurde: Die Mitglieder der Wehrstrukturkommission, zumindest einige von ihnen, fühlen sich von Verteidigungsminister Scharping auf den Arm genommen. Der Friedensforscher Harald Müller, Mitglied der Kommission, nannte das Vorgehen Scharpings „einen Affront“. Es sei „eine Unhöflichkeit“, dass Scharping in der Woche vor der Veröffentlichung des Kommissionsberichts „sein eigenes Modell in die Öffentlichkeit lancierte“. Der Verdacht liege nahe, dass der Minister mit seiner „ideologischen Festlegung in wichtigen Fragen“ die Öffentlichkeit gegen die Vorschläge der Kommission einstimmen wollte. Es sei eine „sehr merkwürdige Praxis“, parallel zu den Arbeiten der Kommission sowohl den Generalinspekteur als auch den Planungsstab mit nahezu gleichen Aufgaben zu versehen, sagte Müller. Insgesamt habe sich die Kommission gegen „sehr heftige“ Versuche der Einflussnahme behaupten müssen.

Zudem sei jetzt eingetreten, was Müller befürchtet habe, nämlich eine öffentliche Debatte über die Wehrgerechtigkeit, wenn es tatsächlich dazu komme, dass die Wehrpflicht zwar beibehalten werde, jährlich aber nur noch 30.000 junge Männer eingezogen werden sollten. Dies werde eine Fülle von Klagen auslösen, in deren Folge die Gefahr bestehe, dass „die gesamten Reformvorschläge der Kommission im Papierkorb“ landen. Müller hatte sich deshalb mit sechs anderen Kommissionsmitgliedern für eine Abschaffung der Wehrpflicht ausgesprochen. Er kündigte an, dass sowohl er als auch andere Kommissionsmitglieder sich im Laufe der künftigen Entwicklung weiter zu Wort melden werden: „Wir haben keinen Maulkorb.“

Besonders wichtig war Müller der seiner Meinung nach zu wenig gewürdigte gemeinsame Vorschlag der Kommission, sämtliche taktischen Kernwaffen der Bundeswehr abzubauen. Dies sei der Bruch eines „jahrzehntelangen Tabus“, das seit den Fünfzigerjahren nicht mehr angetastet worden sei. Damals waren die Nichtkernwaffenstaaten der Nato von den USA verpflichtet worden, Nuklearwaffen auf ihrem Territorium zu lagern und im Krisenfall ans Ziel zu fliegen. Solche Abkommen aber seien überholt. Der Abbau der noch in Europa lagernden Kernwaffen könnte, so der Politikwissenschaftler, auch Verhandlungsmasse bei den Abrüstungsgesprächen zwischen den USA und Russland sein.

Fundamentalkritik an der Arbeit der Kommission übt derweil die Friedensbewegung: Sie sieht eine „zweite historische Zäsur bundesdeutscher Militärpolitik“ nach der Wiederbewaffnung 1955. Angesichts der „grundsätzlichen Neuausrichtung der Bundeswehr“ auf militärische Einsätze außerhalb Europas seien die Unterschiede zwischen der Weizsäcker-Kommission und der von Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) eingesetzten Kirchbach-Arbeitsgruppe eher gering, heißt es in einem Papier des „Bundesausschusses Friedensratschlag“. Mit der Forderung, pro Jahr zwei größere Kriegseinsätze im Ausland durchstehen zu können, werde „der Kriegsfall zum Normalzustand der Bundeswehr“. Daran gehe die derzeitige Diskussion um Wehrpflicht und Truppenstärke vorbei. Nach dem Zerfall des Warschauer Pakts vor zehn Jahren seien die Abrüstungsmöglichkeiten nicht genutzt worden, kritisierten die Sprecher Lühr Henken und Peter Strutynski. Stattdessen sei „vor allem mit Public Relations“ eine neue Existenzberechtigung der Bundeswehr gesucht und verfassungswidrig „die Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ betrieben worden.

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