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Fest der Vereinten Nationen

Dortmunder Bier, kölsche Pranken, brasilianisches Gummi, dazu ein formidabler Brite: Nicht alles war spanisch beim 3:0 von Real Madrid gegen Valencia im Ibererfinale der Champions Leagueaus Paris BERND MÜLLENDER

Holen wir etwas aus: Der Reporter sitzt nach Real Madrids 3:0 im 17. Arrondissement, nicht weit von Sacré-Coeur, in milder Vorsommerluft beim Bier. Die ersten Kneipen haben schon zugemacht, aber in der Café-Bar Au Clair de Lune, einer klassische Pariser Eckkneipe mit weinroten Markisen, wird noch eifrig gezapft. Im Ausschank laut Kneipenschild: „dabbier“. Erstaunen: dab, das altbackene Dortmunder Aktien Pilsener, wahrlich keines der großen Imagebiere, wohl eines, das sprachenüberwindend als einziges beim Gluckern seinen Namen sagt („dab-dab-dab-dab-. . .“). Wie selbstverständlich, mitten in Paris.

Muss einen das wundern, auch wenn man sich an Hannen Alt in Mallorca gewöhnt hat und wahrscheinlich schon in Pilsen Bit getrunken wird? Es ist halt so heute in Europa: Grenzen und Handelsschranken sind weg, nationale Identitäten schwinden. Wie im Fußball: Musste einen das stören, gar langweilen, dass zwei spanische Teams das Champions-League-Finale bestreiten?

Höchstens vordergründig. Denn wie überall in Europa rasen Topleute von irgendwo auf dem großen Ball auf Europas Rasen dem kleinen hinterher. Beide Teams hatten Akteure aus acht Nationen im Aufgebot, in der Startelf waren je fünf beteiligt. Das wäre genauso gewesen, wenn einer der beiden Endspielteilnehmer aus Italien gekommen wäre oder aus England. Nur die Vereinssitze (sprich: Konzernstandorte) sind halt zufällig in der gleichen Region Europas.

Das Match war lange nicht so eindeutig wie das Ergebnis. Beide Teams präsentierten ein hohes Potential an offensiver Dynamik, stets gefährlich, immer mit überraschenden Momenten, manchmal atemberaubend fix, nie auf offenkundige Fehler der Gegner angewiesen. Überall Leute, die Sekundenbruchteile früher als der Durchschnitt mit spielerischer Raffinesse Wege freilegten und Lücken erkannten. Fußball der Hochmoderne.

Dennoch war es der große Abend von Real und nicht der valencianischen Überflieger in ihren topmodisch apfelsinenfarbenen Trikots. Valencia fehlte einer wie der brasilianische Gummimann Roberto Carlos, der sensationell zaubern kann, solange er in einem funktionierenden Gesamtverbund tätig ist. Oder Redondo, Reals Argentinier, der immer schon da ist, wo andere noch hinwollen, ein Wegelagerer im defensiven Mittelfeld, ein Seher und Ahner mit hochantizipativen Fähigkeiten, dazu dynamisch nach vorn.

Abgesehen von der Schlussviertelstunde mit manchem Frust- und Revanchefoul, war es eine sensationell faire Angelegenheit. Beide hatten Gift und Sense nicht nötig, all die Mätzchen, mit denen Minderbemittelte ihre Gegner im Machosport Fußball so gern zu beeindrucken versuchen. Was auch Real-Coach Vicente Del Bosque nachher hervorhob: Das Spiel sei „eine große Werbung für den gesamten spanischen Fußball“ gewesen „dank Fairness und Respekt auf den Platz und in den Fanblocks. Wir haben heute das schöne Gesicht dieses Sports gesehen“, meinte der wuchtige Schnauzbart. Und alle dachten an das gewalttätige Uefa-Cup-Finale in Kopenhagen eine Woche zuvor.

Beim Siegerzeremoniell war ein Schatten-Champion aufgefallen. Während die abgekämpften Aktiven hüpften und jubelten, selbst Offizielle auf den Platz stürmten und in ekstatischem Reflex (hochgerechnet 60 Millionen Mark Einnahmeverlust abgebogen) die Fäuste reckten, dass die Schlipse flogen, trabte ein großer Mann im blauen Dreistreifentrainingsanzug, an den Händen gigantische Handschuhe wie Fliegenpatschen in Weiß und Gelb, mäßig euphorisiert hinterher. Es war das deutsche Endspielelement: „Numero Uno – Illgner“, wie er bei der Mannschaftsaufstellung präsentiert worden war. Real Madrids Ersatztorwart Bodo Illgner, heute 33, ehemals Köln und Deutschland, ist Reals Bankdrückerchampion. Verdrängt von einem 18-Jährigen: Iker Casillas.

Bodo Illgner klopfte hinterher mal hier wem auf die Schulter, umarmte sich kurz pflichtschuldig mit anderen und wirkte dabei wie einer, der nur zu Besuch ist. Die riesigen Handschuhe blieben an. Auch beim Shakehands mit dem Uefa-Präsidenten. Auch als bei der Ehrenrunde der Cup mal kurz in seine Greifer kam. Auch um Beifall zu klatschen, den anderen. El Bodo lächelte dazu. Etwas schief manchmal, mindestens latent unbeteiligt oder nichts sagend. Dann störte ihn diese komische Champions-Medaille um den Hals, er grabschte sie sich ab, zerknüllte den ganzen Klump und begrub ihn in der großen linken Patsche. Als sich die Kollegen dann in der Fankurve, wild gefeiert, eine Dusche gönnen in den stadioneigenen Springbrunnenfontänen, war der begossene Pudel Bodo Illgner gegangen. Womöglich die Handschuhe ausziehen.

Jorge Valdano, früher Trainer in Valencia und Madrid, hatte aus dem iberischen Endspiel gefolgert, Spanien habe sich „in den letzten Jahren praktisch in die Vereinten Nationen des Fußballs verwandelt“, weil sich „Ideen aus den verschiedenen Ländern“ getroffen hätten. Für die Europameisterschaft bedeutet die Clubdominanz Spaniens aber erst mal gar nichts. Bei einer EM werden solch funktionierende Multikulti-Ensembles zerlegt und nach zufälligem Reisepassbesitz (und also nach gestrigen Ideen) neu zusammengepuzzelt.

Bodo Champion darf das egal sein. Auf den Frustsieg ein bière dab. Oder ein spanisches Kölsch. Und sich wundern, warum die Franzosen zu Valencia Valence sagen. Das haben sie doch selbst in ihrer Grande Nation. Nennen wir Den Haag einfach Hagen oder verdeutschen Verona in die Stadt Feldbusch? Das Gesamtkunstwerk Europa ist noch im Werden.

Real Madrid: Casillas - Ivan Campo, Helguera, Karanka - Salgado (85. Hierro), McManaman, Redondo, Roberto Carlos - Raul - Morientes (72. Savio), Anelka (81. Sanchis) FC Valencia: Canizares - Angloma, Djukic, Pellegrino, Gerardo (69. Ilie) - Mendieta, Farinos, Gerard, Kily Gonzalez - Angulo, Claudio LopezTore: 1:0 Morientes (39.), 2:0 McManaman (67.), 3:0 Raul (75.)

Zitat:

Jorge Valdano:„Spanien hat sich in den letzten Jahren praktisch in die Vereinten Nationen des Fußballs verwandelt“

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