: Learning by giving: Die Kunst der Kulturvermarktung
Kein Geld in die Hand nehmen
Nichts scheint einfacher zu sein, als einen Rolls-Royce zu verkaufen. Ich komme zwar nicht jeden Tag am Showroom von VW in der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden vorbei, doch oft genug. Und jedesmal sehe ich einen Verkäufer, der gerade einem älteren Ehepaar die komfortablen Details des dort im Schaufenster geparkten Wagens erklärt. So war es auch am Freitag, als ich zum 2. Berliner Forum für Kultur- und Medienmanagement im Kulturkaufhaus Dussmann bummelte. Hier sollte es darum gehen, wie man Kultur verkauft: Ausstellungen in Bremen, ganze Museen in Wolfsburg und New York/Bilbao/Berlin, großformatige Wochenzeitungen aus Hamburg oder öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender wie den NDR. Kultur ist schwerer als ein Rolls-Royce zu verkaufen, so scheint es jedenfalls, aber man kann sich ja eines Besseren belehren lassen.
Wenn man zum Beispiel weiß, dass das Marketingparadigma des 21. Jahrhunderts das Beziehungsmarketing ist, ein „Prozess der Non-Stop-Cultivation im Verhältnis zu Anspruchs- und Zielgruppen inmitten segmentierter Märkte“, dann tut man sich vielleicht einfacher. Vielleicht. Beziehungsmarketing übersetzte der Organisator der Tagung, das Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ unter der Leitung von Professor Klaus Siebenhaar, mit „Beziehungszauber“, was der Veranstaltung dann auch ihren Namen gab. Überhaupt scheint eines der rasantesten Marketinginstrumente das ständige Übersetzen der Alltagssprache in ultracoole Fachsprachen beziehungsweise deren Rückübersetzung in eine mehr oder weniger gelungene poetische Umschreibung zu sein. Manche dieser symbolischen Transaktionen verbreiten sich wie ein Virus. Kaum hatte etwa der extrem eloquente und sympathisch-arrogante Marketingleiter des NDR, Volker Strüßmann, erklärt, er nähme bei all seinen Marktingmaßnahmen „kein Geld in die Hand“, war das Wort in aller Munde. René Meyer-Brede, Generalbevollmächtigter Direktor des Musical-Theater Bremen, gab zu, dass er schon Geld in die Hand nähme. Sein Bremer Kollege, Professor Wulf Herzogenrath von der Kunsthalle, die gerade ihre Ausstellung „Der Blaue Reiter“ nicht zuletzt aufgrund einer komplexen und einfallsreichen Marketingstrategie hervorragend an den Mann und die Frau gebracht hat, muss das nicht tun. Im Klartext heißt es einfach, ob man für Partnerschaften, Lizenznahmen und Merchandising bezahlt.
Wer viel Geld in die Hand nimmt, ist das Kunstmuseum Wolfsburg. Das „Museum mit dem Wal“ (Logo! Corporate Identity!) verschickt allein zu jeder Ausstellungseröffnung 16.000 (!) Einladungskarten, wie Thomas Köhler, dort für Kommunikation & visuelle Bildung zuständig, sagte. Da kann der stellvertretende Vorstand der Kunststiftung Volkswagen, Henning Schaper, natürlich ganz kühl feststellen, dass die Finanzausstattung darüber entscheidet, ob man sein „mission statement“ erreicht. Die Mehrzahl der Teilnehmer, die von schlechter ausgestatteten Museen, Theatern oder Zeitungen kommen – denn wer sonst will oder muss schon wissen, wie man’s macht –, werden das mit „mission impossible“ übersetzt haben. Trotzdem ist diese Übersetzung nicht richtig. Ersterer Begriff definiert das Ziel, das man mit seiner Unternehmung erreichen will. Also das Ding, demgegenüber man ein „commitment“ hat respektive, hm, Fragezeichen. Bindung, Verpflichtung, sagt das Lexikon. Leidenschaft, Liebe, sagt das Marketing. Und schluckt wahrscheinlich „bedingungslose Treue“ gerade noch runter.
Viel Geld ist tatsächlich im Spiel, nicht nur am Guggenheim Museum in New York, dessen Direktor für Corporate Communications, Ben Hartley, über knallharte Sponsorenverträge sprach. Eine Million Menschen beschäftigt der Kultur- und Mediensektor und trägt mit 84 Milliarden Mark in Deutschland zum Einkommen bei, berichtete die Wirtschaftsberaterin Marlies Hummel aufgrund ihrer neuesten, noch unveröffentlichten Studie für Kulturstaatsminister Michael Naumann. Gewinne entstehen natürlich vor allem im Presse-, Verlags-, Film- und Fernsehbereich sowie den vorgelagerten Bereichen wie Druck und Technik, nicht bei den geförderten Museen, Orchestern und Theatern. Weil aber der private Konsum im Bereich Unterhaltung den größten Zuwachs erreicht, sieht die Beraterin etwa bei den privaten Theateranbietern ein Wachstumspotenzial von acht Prozent bis 2003. Da ist also was drin für den Beziehungszauber.
Den sah nun Professor Wolfgang Benkert von der Privaten Universität Witten/Herdecke (die jedes Jahr 35 Millionen Mark durch Sponsoring und Mäzenatentum einspielen muss) darin, nutzerorientiert und nicht produktorientiert zu planen und zu handeln; nicht mehr Käufer zu sehen, sondern „Stakeholders“. Es war mir neu, dieses schöne Wort, und es machte auf mich mindestens so viel Eindruck wie die Projektionen mit Overheadfolien oder Computer, mit denen jeder – mit Ausnahme des sympathisch-bescheidenen René Meyer-Brede – arbeitete. Als Stakeholder, also Teil einer Anspruchsgruppe, gefiel mir sein konkretes Anschauungsmaterial wie Zeitungen und Telefonkarten dann doch besser. Später auf das Geben und Nehmen beim Kultursponsoring hin befragt, sah Wolfgang Benkert das Angebot der Kultur an die Wirtschaft in ihrem visuellen und sprachlichen Inszenierungs-Know-how. Das ließ mich die Sache mit dem umlagerten Rolls-Royce bei VW doch etwas anders sehen. Wissen die schon was von Beziehungszauber? Und sind die älteren Ehepaare womöglich nicht einmal Schauspieler, sondern Klons? Denn eines hatte mich während der Veranstaltung ernsthaft irritiert: Die Frage nach der Beziehung von Kultur- und Medienmarketing zur Biotechnologie, dem Kulturthema schlechthin, war einfach schnöde irgnoriert worden. Und das, obwohl mit Moritz Müller-Wirth ein Redakteur der FAZ die Moderation übernommen hatte.
BRIGITTE WERNEBURG
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