: Wozu eine Bundeswehr?
DIE ZUKUNFT DER BUNDESWEHR (2): Deutschland könnte seinen Beitrag zum Weltfrieden leisten, wenn es auf eine Armee verzichtete und stattdessen ein ziviles Friedenskorps schaffen würde
von EKKEHART KRIPPENDORF
Im 5. Buch der „Politeia“ sagt Platon/Sokrates: „Unsere nächste Aufgabe ist es nun, zu untersuchen und nachzuweisen, welches fehlerhafte Verfahren in der Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten eigentlich daran schuld ist, dass die heutigen Staaten sich nicht in der von uns geschilderten (friedlichen, gut regierten; E. K.) Lage befinden . . . Eine einzige Veränderung könnte, wie ich glaube zeigen zu können, diesen Wandel herbeiführen, freilich keine kleine noch auch leichte, aber doch mögliche.“ Dann kommt Sokrates ins Stottern, es ist ihm fast peinlich, konkret zu werden: „So will ich mich denn hervorwagen . . . Das Wort soll also gesprochen werden, mag es auch den Verkünder geradezu wie eine Woge mit Hohngelächter und Schmach überschütten.“ Und nun kommt die berühmte Forderung, dass „die Philosophen Könige werden oder die jetzt so genannten Könige und Gewalthaber sich aufrichtig und gründlich mit Philosophie befassen“, also einen Begriff, eine Idee von Wahrheit und Gerechtigkeit haben müssten – wenn die politischen Gemeinschaften gut, das heißt friedlich und zum Wohle der Bürger und nicht der Herrschenden regiert werden sollen. Bis heute wird Platon wegen dieser weltfremden Forderung an das politische Personal, von dem wir uns regieren lassen, belächelt und der Naivität gescholten.
Wer auf die Frage nach der Zukunft der Bundeswehr mit der Antwort: „Keine“ kommt, der wird von vornherein in die Ecke der Unpolitischen und der Träumer abgeschoben. Der oder die darf zwar an einer von der Deutschen Friedensgesellschaft organisierten Fahrradtour für ein „Europa ohne Armee(n)“ teilnehmen und sich dann sagen, er/sie habe etwas für den radikalen Frieden getan; ja, er findet sich sogar in einer respektablen Meinungsminderheit von 9,6 Prozent, weiß aber zugleich, dass eine solche „Forderung“ so unrealistisch ist, dass sie von der „öffentlichen Meinung“ nicht einmal belächelt, geschweige denn diskutiert wird. Wer sich damit dennoch „hervorwagt“, dem wird wie Platon eine „Woge des Hohngelächters und der Schmach“ entgegenschlagen. Sei’s drum. Die Wahrheit – oder vorsichtiger: die Erkenntnis, die als Resultat von Forschung und Reflexion zu einer solchen Position führt, darf deswegen nicht ungesagt bleiben. Und ich glaube begründen zu können, dass die Ursache der „Krätze Krieg“ (Goethe) in der Existenz des Militärs selbst zu suchen ist, das seit Entstehung und Formation des modernen Staates im europäischen 17. Jahrhundert gewissermaßen zum Krebsgeschwür der Politik geworden ist. Dessen Metastasen sind bis ins Unterbewusstsein unserer Politik- und Ordnungsvorstellungen eingedrungen und haben die Institution Militär (ganz konkret und gar nicht unbewusst) konditioniert – die allgemein-öffentlichen Diskurse wie die Handlungsoptionen der politischen Klasse. Seitdem können wir die so genannte Sicherheits- und Außenpolitik schon gar nicht mehr ohne das Militär denken – es ist bis in unseren Sprachgebrauch hinein präsent, bestimmt Weltbild und Handeln: Wo es Militär gibt, ist der Krieg nie weit weg.
Madeleine Albright, die US-amerikanische Außenministerin, wird glaubwürdig zitiert mit dem enthüllend deutlichen Wort: „Wozu hat man die beste Armee der Welt, wenn man sie nicht benutzen darf?“ Dieser Wahrheit ist auf den Grund zu gehen. Denn das denken letztlich alle so genannten Außenpolitiker. Dabei denken, paradoxerweise, die Militärs selbst überwiegend anders: Die wollen zwar (wegen des internationalen Prestiges) den letzten Schrei an waffentechnologischem Spielzeug, aber sie sind selbst nicht unbedingt einsatz- und kriegsabenteuerfreudig.
Die erste Amtshandlung Wladimir Putins als designierter russischer Staatspräsident war hingegen, eine neue atomare Interkontinentalrakete probestarten zu lassen: „Symbolische Politik“ – sicher. Aber Putin sagt sich und den Seinen auch: „Da haben wir nun so eine hervorragende Waffe, warum sollen wir sie nicht einsetzen dürfen?“ Und er wird sie einsetzen, weil sich Waffen ihre Gelegenheit selbst schaffen.
Wie das? Ein Sprichwort sagt: Gelegenheit macht Diebe. Die vielgestaltigen Konflikte der Weltgesellschaft enthalten fast immer die Versuchung, sie, wenn scheinbar gar nichts anderes mehr hilft oder geht, mit Gewalt – mit Militär – zu lösen.
Militär bietet immer die einfachste, die sauberste, die effizienteste Konfliktlösung an. Natürlich gibt es, glücklicherweise, viele Hemmschwellen gegen das Auslaufen der Kanonenboote und den Einsatz der schnellen Eingreiftruppen: bei einem transatlantischen Handelskrieg wird man nicht gleich die Fallschirmjäger losschicken, und bei einem Fischereikonflikt zwischen Spanien und, sagen wir, Norwegen wird nicht gleich ein Flugzeugträger in Marsch gesetzt. Aber wie sieht es mit den Handelswegen und Pipelines der europäischen Ölzufuhr aus oder einem groß angelegten Kidnapping in Asien? Solche Interessen müssen „wir“ doch verteidigen können, und wer da nicht hören, das heißt in unserem Sinne verhandeln will, der muss fühlen – die Fälle Kosovo und Kuwait haben das gezeigt. Gelegenheit macht Diebe, ein griffbereites Militär macht auch den friedlichsten Politiker per Rollenidentifikation zum Militaristen. Das war schon beim musischen Schöngeist Friedrich II. so. Bei seinem Regierungsantritt fand er eine schlagkräftige, ausgeruhte Armee vor – und der Krieg war da.
Bis Anfang der Fünfzigerjahre hielt es die Mehrheit der Deutschen (und nicht nur dieser!) für durchaus denkbar, ohne Militär die Demokratie aufzubauen. 1989, als man sie danach fragte, wollten fast 40 Prozent der Schweizer Bürger ihre Armee als objektiv nutzlos nach Hause schicken. 1990 (da hat man die Deutschen nicht gefragt) scheint sogar eine Mehrheit der wieder vereinigten und nunmehr „von Freunden umzingelten“ BürgerInnen der Meinung gewesen zu sein, man könne auf dieses atavistische Spielzeug der Machtpolitik verzichten. Dann suchte und fand die politische Klasse neue Funktionen für dieses älteste Gewerbe der Welt – und die einschlägigen Politologen lieferten ihnen die globalisierten Argumente dazu. Der realitätsinstinktive grüne Außenminister kam, sah, setzte ein – und sein Opportunismus wurde international honoriert.
Dabei wäre es auch – aber eben eine andere – Realpolitik gewesen, zu sagen: Die Bundesrepublik Deutschland leistet ihren Beitrag zur Beilegung internationaler Konflikte durch Bereitstellung von zivilen Friedenskorps – im Alleingang und als empfehlenswertes Vorbild, oder nennen wir’s „Experiment“. Schröder und Fischer haben an so viel Rückgrat nicht einmal gedacht, als sie wissentlich und willentlich Grundgesetz und Völkerrecht brachen, um mit ihrer Bundeswehr voll dabei zu sein. Mit einer umgerüsteten, „modernisierten“ Bundeswehr wird es einfacher werden, den Krieg als Mittel der Politik wieder voll zu legitimieren – und zu führen.
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