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■ H.G. HolleinKurz & knapp

Das Büro, in dem ich täglich sitze, enthält viel Nützliches. Vor allem für gelegentliche Phasen administrativen Leerlaufs. So stieß ich unlängst bei vorgetäuschtem Tun in den Tiefen eines Aktenregals auf das Buch „Die Briefmarke – ein graphisches Kunstwerk“, das der Autor, ein gewisser Hans Rudolf Johannsen, „nachdem das Manuskript über zehn Jahre im Schreibtisch bereit- lag“, 1969 denn doch einer interessierten Leserschaft nicht vorenthalten wollte. Gott sei Dank. Denn ein sichereres Urteil über die Gestaltung der „Aktie des kleinen Mannes“ ward seitdem wohl kaum wieder gefällt. Etwa über eine Porträtserie Hindenburgs zwischen 1927 und 1932: „Aus der Tiefe zum Auserlesenen.“ Oder über eine DDR-Marke zum zehnten Todestag Ernst Thälmanns: „Realismus, durch Buntheit unerträglich.“ Ebenso knapp wie umfassend fällt auch das Verdikt über eine Reihe üppig allegorisierender französischer Kolonialmarken aus: „Verfall, wohin man blickt.“ Schon besser kommt da die 1 1/4-Schilling aus Schleswig-Holstein von 1864 weg: „Die Schönheit weisser Ecken.“ Das ist ebenso lapidar wie zutreffend beobachtet. Überhaupt hält es der Autor mit der „Kunst des Möglichen“. Auch bei Großformaten. Denn: „Der Rahmen kann alles verderben.“ Und: „Die Größe rettet nichts.“ In solch beiläufiger Kürze weiß Johannsen mit feinem Gespür sein eigentliches Thema in die Sphäre des allgemein Verbindlichen zu transzendieren. Was ließe sich zu einer mauretanischen Kamelszene aus dem Jahre 1938 schließlich mehr sagen als: „Es geht auch anders.“ Von schöner Phonetik getragen ist der Kommentar zur Unabhängig-keitsmarke Malis von 1959. Die zeigt eine Flagge, eine Landkarte, die Freiheitsfackel und einen Schwarzen im Profil. Dazu Johannsen: „Tschingdaradabum!“ Gänzlich ins Abstrakte steigert sich der Kritiker aber erst angesichts einer zeichnerischen Wiedergabe der Deutschen Oper in Berlin: ? ? ? Das ist an evokativer Kürze nun wirklich nicht mehr zu übertreffen.

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