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Teppichhandel um Behindertenjobs

■ Betriebe müssen bis zu sechs Prozent Behinderte einstellen / In Bremens Behörden sinken die Zahlen / Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) fordert Selbstverpflichtung des Öffentlichen Dienst

Bremens Arbeitssenatorin Hilde Adolf (SPD) will sich zusammen mit den hiesigen Behindertenverbänden gegen eine bundesweit geplante Reduzierung der Behindertenquote in Betrieben stark machen. Sie hält die geplante Gesetzesänderung für ein „falsches Signal“ und fordert stattdessen eine Erhöhung des Behindertenanteils. Dafür will sich die Senatorin jetzt auch auf Bundesratsebene einsetzen. Zumal sich die Verbände bitterböse über die Arbeitgeber beschweren: „Diese kommen ihrer Beschäftigungspflicht immer weniger nach“, so die Kritik – auch an der Öffentlichen Verwaltung in Bremen. Denn in der Hansestadt sinken die absoluten Zahlen der behinderten Arbeitnehmer stetig.

Zwar hat Horst Frehe vom Verein „Selbstbestimmt Leben“ in einer Arbeitsgruppe an der Gesetzesnovelle mitgearbeitet. „Aber wir mussten ganz schön Kröten schlucken.“ Zuerst die Absenkung der Beschäftigungspflicht von sechs auf fünf Prozent. Dann wurden auch noch die Kleinbetriebe aus der Beschäftigungspflicht herausgenommen. Erst ab 20 Beschäftigten (bislang ab 16) muss ein Schwerbehinderter eingestellt werden. Erkämpft haben sich die Behindertenverbände dafür höhere Ausgleichsabgaben von den Betrieben, die ihre Quoten nicht einhalten. „Das war wie ein Teppichhandel auf dem Bazar“, vergleicht Frehe. „Aber ich habe Zweifel, dass die höheren Abgaben zu einer höheren Quote in Bremen führen.“

Außerdem fürchten die Behindertenverbände, dass sich die Betriebe in der „Grauzone“ zwischen fünf und sechs Prozent jetzt zurücklehnen werden. Dazu gehört auch Bremens Öffentlicher Dienst, mit einer Quote von 5,87 Prozent (März 2000). Hatte man die gesetzlich vorgeschriebenen sechs Prozent bislang immer verfehlt, darf man sich nach der Gesetzesnovelle ab Oktober vermutlich auf die Schultern klopfen.

Zwar rühmt sich die Hansestadt schon jetzt mit dieser Quote einen „Spitzenplatz“ im Ländervergleich einzunehmen: Schließlich stieg der Behindertenanteil langsam aber stetig: Von 5,71 Prozent (Dezember 1998) auf 5,85 (Dezember 1999) und schließlich 5,87 im März 2000. Dennoch wurde der Spitzenwert nicht durch Neueinstellung Behinderter erreicht, sondern „überwiegend durch Arbeitsplatzabbau“ und Ausgründungen städtischer Betriebe, heißt es in der Personalverwaltung. Tatsächlich seien die Arbeitsplätze für Behindete „gleichbleibend sinkend“. Die Zahlen dazu: 1.992 (Dezember 1998), 1.974 (Dezember 1999), 1.964 (März 2000).

Für die Behinderten ist der Öffentliche Dienst aber bislang der Hauptarbeitgeber. In der Privatwirtschaft sieht die Chance auf Jobs deutlich schlechter aus: Laut Behindertenverbände liegt da die Quote in Bremen gerade mal bei 3,3 Prozent. Die Zeiten der „großen expandierenden Unternehmen“ sind vorbei, klagt Frehe. Noch in den 70er Jahren hätten Betriebe wie Klöckner eine Quote von acht Prozent gehabt. Heute schafft die Universitätsverwaltung gerade mal 4,75 Prozent. Das Arbeitsamt 7,5 Prozent. Doch selbst die Behörden müssen im Sanierungsland Bremen kräftig abspecken.

„Aber man kann und muss mehr tun“, signalisierte Senatorin Adolf Anfang Mai dem Behindertenparlament in Bremen. Gerade der Öffentliche Dienst soll mit gutem Beispiel voran gehen. Hilde Adolf ist deshalb mit den anderen Bundesländern im Gespräch: Im Zuge der Bundesratsberatungen zu der Gesetzesnovelle will sie eine Sechs-Prozent-Quote als „Selbstverpflichtung des Öffentlichen Dienstes“ durchsetzen. Für die Behindertenverbände wäre das ein wichtiges Signal. „Es heißt aber nicht höchstens sechs Prozent, sondern mindestens“, macht Frehe noch einmal deutlich.

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