: Nur Hitler mit Niveau
In Brandenburg sollte ein Skandal gemacht werden. Doch die Inszenierung von „Mein Freund Hitler“ geriet belangloser, als nicht nur die Polizei dachte
von RALPH BOLLMANN
Für Stadt und Land ist der Mann ein wahrer Glücksgriff. Als Konkursverwalter war Intendant Thomas Höft angetreten, nachdem das Theater der Stadt Brandenburg dem Sparzwang und dem notorischen Desinteresse einer nicht vorhandenen Öffentlichkeit zum Opfer gefallen war. Höfts Aufgabe war es, die verbliebenen 120 Mitarbeiter zu entlassen und mit dem restlichen Etat ein kleines Kulturprogramm für die örtliche Mehrzweckhalle zu zaubern. Aus dem traditionsreichen „Brandenburger Theater“ wurde die „Theater GmbH im CulturCongressCentrum“.
Angesichts der Abwicklung fast der gesamten brandenburgischen Theaterlandschaft beklagten die Feuilletons vor einem Jahr den endgültigen Untergang eines ganzes Bundeslands im braunen Sumpf der Kulturlosigkeit. In den vergangenen zwölf Monaten hat es der Wundermann Höft allerdings geschafft, im gesamten Rest der Republik den Eindruck zu verbreiten, als gebe es in der Stadt Brandenburg noch ein Theater.
Und in den Blickpunkt der westdeutschen Medien gerät man, das hat Höft schon richtig kalkuliert, am leichtesten mit dem einzigen Tabubruch, der die linksliberale Kulturschickeria noch aufschrecken kann. Das Rezept: Man inszeniere, erstens, den rechtsradikalen japanischen Autor Yukio Mishima, der nach einem gescheiterten Putschversuch 1970 öffentlich Harakiri beging. Man wähle von ihm, zweitens, ein Stück, das sich zu allem Überfluss auch noch mit seinem „Freund Hitler“ befasst. Als Regisseur verpflichte man, drittens, in der Person des Schauspielers Claude-Oliver Rudolph einen aus Film und Fernsehen bekannten Bösewicht. Und schließlich veranstalte man das Ganze auch noch – wie Höft im Spielplanheft frivol ankündigt – am „rechten Ort“.
Das Konzept ging auf. In der so pittoresken wie trostlosen 88.000-Einwohner-Stadt im Südwesten Berlins liefen schon zur Generalprobe mehr Journalisten auf, als sie das Brandenburger Theater in den 182 Jahren seiner Existenz zwischen 1817 und 1999 je gesehen hatte.
Am Premierenabend fiel die Erregung dann in sich zusammen wie Salzburger Nockerln. Der Text, vom Regisseur auf ein Drittel gekürzt, erwies sich als belanglose Girlande um die „Nacht der langen Messer“ am 30. Juni 1934, als Hitler seine innerparteilichen Gegner – darunter seinen alten Freund, den SA-Stabschef Ernst Röhm – wegen angeblicher Putschpläne ermorden ließ. Rudolph setzte die Plattitüden noch dazu mit naivem Naturalismus in Szene. War von „Regen“ die Rede, plätscherte prompt ein Wasserstrahl auf die Bühne. Faselte Stahlbaron Krupp von den „Hochöfen zu Bochum“, wechselte das Licht sogleich zu flackerndem Rot.
Nicht einmal das Versprechen, der Kreis um Hitler werde in Mishimas erstmals auf Deutsch gespieltem Stück als schwuler Männerbund vorgeführt, mochte in Erfüllung gehen. Viel mehr als der Vorwurf Röhms, in Brandenburg von der Schauspielerin Renate Muhri gespielt, an seinen Freund Hitler, er habe „von Tunten und Blasen keine Ahnung“, springt dabei nicht heraus. Das war so ungefähr das Niveau, auf dem sich der Abend in langen 90 Minuten bewegte.
Von den Schauspielern operierte nur Hitler-Darsteller RP Kahl auf halbwegs professionellem Niveau. Seine Ganzkörperakrobatik bewegte sich irgendwo zwischen Martin Wuttke und Charlie Chaplin – naturgemäß ohne an die beiden Vorbilder heranzureichen, aber auch ohne sich von ihnen auf irgendeine originelle Weise abzusetzen.
Das stärkste Bild lieferte schließlich der Regisseur selbst, der sich dem spärlichen Premierenapplaus in einem Anzug mit Leopardenmuster aussetzte. Flankieren durften ihn dabei seine Freunde von den „Hells Angels“ mit ihren Harley-Davidsons, deren Auftritt beinahe an der Abgasverordnung gescheitert wäre. Ach ja: Einen Spielmannszug nach Funkenmariechenmanier gab es auch noch, und zwischendurch kam – mit einer barocken Arie auf den Lippen – ein Engel herabgeschwebt.
Kein Skandal also, wie die meisten Kritiker enttäuscht notierten? Kann dem bösen Claude-Oliver Rudolph bei so viel arglosem Eklektizismus niemand mehr böse sein? Alles in Butter, nur weil die bereitstehende Polizei nicht einschreiten musste? Weil der ganze Abend nicht – wie befürchtet – unter dem Beifall kahlköpfiger Horden über die Bühne ging, sondern vor einem Szenepublikum, das fast ausschließlich aus Journalisten und Schauspielerkollegen bestand?
Wohl kaum. Ganz so arglos, wie Rudolph und Höft sich das vorstellen, kann man in der „ausländerfreien Zone“ Brandenburg mit Hitler nicht umgehen. So schamlos wie Höft hat noch niemand das braune Image Brandenburgs für Werbezwecke eingespannt. Dass der Konkursverwalter so groß herauskam, verdankt er freilich auch den allzu simplen Reflexen mancher Medienvertreter, die ihren Skandalismus kaum zügeln können.
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