piwik no script img

Die Presse denkt ans Prada-Kleidchen

Krisen-Jetset, Arte-Aufträge und „Fit for Fun“ im schäbigen Gemischtwarenladen. Wie die Wirklichkeit auf der Bühne zur polemischen Farce werden kann. Die Uraufführung von Falk Richters „Peace“ an der Berliner Schaubühne macht aus dem Krieg in Ex-Jugoslawien eine deutsche Journalistensatire

von CHRISTIANE KÜHL

Rückblende: Spiegelzelt vor dem Schillertheater, Theatertreffen 2000. Manifeste, Realismus und die Möglichkeiten von Theater werden diskutiert. Es geht um dieses Glas Wasser auf dem Podium. „Wir haben kein Problem mit der Wirklichkeit“, erklärt Tom Kühnel vom Theater am Turm (TAT) furchtlos, und diese Problemlosigkeit will das TAT „dem Einzelnen über Modelle für Teilbereiche des Lebens“ ganz altruistisch weitervermitteln. Zum Beispiel, „wie man ein Glas Wasser bestellt. Das ist die Wirklichkeit, die uns umgibt, die viel wirklicher ist als der Krieg im Kosovo.“ Falk Richter guckte da ernsthaft erstaunt. Am Main wird nicht ferngesehen? Selbst die Bilder vom Krieg gehörten zur uns umgebenden Wirklichkeit. Um seinerseits diese Erkenntnis zu vermitteln, ist er in den Kosovo gezogen. Und mit einem Stück zurückgekommen: „Peace. The world outside is real“.

Nun hat sie also stattgefunden, die letzte Premiere der ersten Spielzeit der Berliner Schaubühne seit dem viel beschriebenen Generationswechsel. Fast alle Produktionen, die dort mit dem unbedingten Willen zur Zeitgenossenschaft auf die Bühne gebracht wurden, haben enttäuscht. Und „Peace“, mit Spannung erwartet, gerade weil Richter sich keinem Realismus verpflichtet fühlt, macht keine Ausnahme. Zur Uraufführung am Dienstag gab es laute Buhrufe.

„Krieg according to Ku'damm“ wäre der passende Titel für die 100 Minuten Spielzeit gewesen, auch wenn Richters Figuren als enblematisch für Berlins Mitte gelten: Thirtysomethings mit schwach linkem Gewissen und starkem neutralem Karrierebewusstsein. Journalisten, Werber und Künstler, verbunden durch Geld- und Geltungssucht, leben gemeinsam in einer „Durchgangswohnung“ im Kosovo. Wobei „leben“ in diesem Zusammenhang euphemistisch ist. Seit drei Jahren, sagt Laura, habe sie nicht mehr geschlafen. Denken und zusammenhängende Sätze bilden klappt offensichtlich auch nicht mehr, das Sein ist auf die Jagd nach Bildern reduziert. Man konkurriert und hält zusammen, sofern man überhaupt noch etwas zusammenhalten kann: „Sag mal, hast du ein paar erfrorene Kinder gesehen?“ – „Nee, aber wenn du ein paar tote Neger brauchst, ist Uganda, glaube ich, wo ist dieser Bürgerkrieg?“

Im Januar ist Falk Richter zur Recherche in Südosteuropa gewesen. Dass er mit ein paar Wochen Eindruck nicht versucht hat, das Innenleben der Ex-Jugoslawen auf der Bühne auszubreiten, ist ihm anzurechnen. Er hat seine eigene Situation dramatisch verarbeitet, das heißt die Erfahrungen mit deutschen Journalisten vor Ort. Leider ist nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Klischees dabei herausgekommen. Zweifelsohne schützen sich Kriegsreporter gegen den permanenten Horror nicht selten mit Zynismus. Jedoch zu behaupten, dass es ausnahmslos um Werbespots für Diesel, Videos für Viva, 120.000-Mark-Aufträge für Arte oder „Refugee events“ von Fit for Fun geht, wobei die größte Sorge das passende Prada-Kleidchen ist, ist dumm. Und lässt die immanente Behauptung, Theater würde komplexe Wirklichkeit differenzierter als die Medien darstellen, jämmerlich in sich zusammensacken.

Katrin Hoffmann hat die Bühne als schäbigen Gemischtwarenladen eingerichtet. Wassercontainer, Matten und Abfallsäcke im Zentrum, Videowand, Computer und Mikrofone an den Rändern. Dazwischen stolpert der hoch neurotische Krisengebiets-Jetset (Jule Böwe, Kay Bartholomäus Schulze, André Szymanski u. a.), permanent Halbsätze hechelnd, Flüge buchend, umbuchend, zurückbuchend. Selbstverständlich schläft jeder mit jedem, es sei denn, das Handy klingelt. Beziehungsunfähig, ignorant und ohne Haltung allesamt, nur ein wenig Trauma darf natürlich auch sein. Das interessiert weniger, als dass es erschöpft. Während Richters Text beim Lesen Irritationen erlaubt – Hat sie das erlebt? Hat sie das geträumt? Hat sie das aus dem Fernsehen? –, setzt seine Inszenierung auf ein relativ ungebrochenes „Guckt mal, so sind die!“. Das Problem des grassierenden Willens zur Zeitgenossenschaft und Rückführung der Realität auf die Bühne ist hier, dass die Schauspieler sich mit ihren Rollen identifizieren, aber gleichzeitig klarstellen, dass sie mit den Figuren nichts zu tun haben. Theater gut, Medien schlecht. So ist Peace auch auf der Bühne nicht mehr als eine Farce.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen