: Vom Berliner Zimmer zur WG
„Wohnen im Wandel“ zeigt Berliner Wohnkulturen aus zwei Jahrhunderten. Vom Klischee des bürgerlichen Nussbaums arbeitet sich die Ausstellung zur Karikatur des 80er-Jahre-Hausbesetzers durch. Es bleibt: das fensterarme Berliner Zimmer
von GRIT FRÖHLICH
„Hier in Berlin hat man das ‚Berliner Zimmer‘ erfunden, mit kaum einer Spur von Fenster, und darin verbringen die Berliner den größten Teil ihrer Zeit“. Das Zitat von Friedrich Engels springt dem Besucher gleich am Eingang der Ausstellung „Wohnen im Wandel“ entgegen. Zunächst jedoch steht man in einem pompösen bürgerlichen Speisezimmer mit dunklem Nussbaumfurnier.
Im Erdgeschoss des Nicolaihauses in Mitte sind Zeugnisse der bürgerlichen Wohnkultur zur Jahrhundertwende versammelt. In einer Zeit des rapiden technischen und sozialen Wandels versuchte die bürgerliche Wohnkultur Traditionen zu verankern: Dem Zeitgeist entsprechend ist das Herrenzimmer in rationalem Renaissancestil, das Damenzimmer in verspieltem Rokoko gehalten. Das ganze wiederholt sich noch einmal in Miniatur in historischen Puppenstuben.
Durch das geschnitzte Treppenhaus gelangt man in den ersten Stock und in das ‚Berliner Zimmer‘ – eine vollgestopfte Wohnküche, die gleichzeitig als Schlafraum diente. Eine Wäscheleine mit alten Nachthemden ist quer durchs Zimmer gespannt.
Ein echter Höhepunkt der Ausstellung ist das Kinderzimmer, das Henry van de Velde 1910 für die Kinder des Berliner Fabrikanten Willy Engels entwarf. Die abgerundeten Ecken sind charakteristisch für die schlichten, hellen Möbel des für seine Zeit sehr modernen Kinderzimmers.
Die Möbel von ihrem Zierrat zu befreien war eine notwendige Voraussetzung für ihre Massenproduktion. In diesem Sinne wirkten die Designer des Bauhauses auf den Geschmack der Massen ein. So zeigt die Ausstellung klassische Bauhaus-Design-Produkte wie die Tischleuchte von Wilhelm Wagenfeld aus den goldenen 20er-Jahren. Und dann gibt es das schlichte nationalsozialistische Wohnzimmer aus den 30ern mit Volksempfänger, darüber hängt ein kitschiges Landschaftsbild.
Jenseits der repräsentativen Wohnzimmer macht sich der Wandel der Zeit deutlich in den alltäglichen Räumen wie Küche und Bad bemerkbar. Die Ausstellung zeigt die Entwicklung der Toilette vom bequemen Toilettenstuhl mit Armlehnen hin zu unserem Wasserklosett.
Obwohl es in den 30er-Jahren gelang, zumindest alle Neubauten ans Stromnetz anzuschließen, setzten sich elektrische Haushaltsgeräte erst in den 50er-Jahren richtig durch. Eine ganze Kollektion solcher Geräte findet sich im ersten Stock. An einer Wand steht ein Spalier von Staubsaugern von den 20er-Jahren bis heute. Man feiert Wiedersehen mit dem Großvater des eigenen Miele-Staubsaugers.
Weiter geht es mit Nierentischen aus der Wirtschaftswunderzeit, als die Fernseher noch Möbelstücke waren. Dahinter kommt ein orangestichiges Wohnzimmer aus den 60ern. Etwas dürftig geraten ist allerdings der Versuch, die Wohnkultur der Hausbesetzer-WGs in den 80ern in einem Raum abzuhandeln, dessen einziges klischeehaftes Inventar ein Einkaufswagen mit Pflastersteinen ist, der so gar nicht zu dem sterilen Teppichboden passen will.
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