: Ich möchte ein Baum sein
Frauen können alles, fast alles – aber können sie auch sprechen? Und wenn, mit wem?
Ich möchte Frau sein. Dann würde auch ich solch irisierende Einladungen erhalten: „Einladung zum großen Feministischen Widerstandsfest!!!“ Die österreichischen Organisationen „an.schlaege, female SEQUENCES, nylon, Der Apfel, Lila Schriften, Lesben+Frauen-Nachrichten, AUF, Frauensolidaritaet“ bitten am 30. Juni 2000 zum „Megafest“, allerdings „Nur fuer Frauen“.
Frauen (k)leben fest
Zu und zu gern würde ich dennoch hinrennen und mitfeiern „GEGEN diese Regierung, GEGEN die erhoehten Postgebuehren ... und FUER Solidaritaet, Zusammenarbeit und fuer den Verband der feministischen Medien. Weltweit!“. Auch ich bin gegen die Erhöhung der Postgebühren – weltweit! Will Widerstand leisten mit „Kabarett, Bauchtanz, großer Tombola u.v.m.“ Beim Bauchtanz wäre ich sicher gut einzusetzen, aber nur wenn es ein Buffet gäbe. „BUFFET? ja, klar!“ Au fein. Jetzt wird auch das Motto des „Widerstandsfestes“ verständlicher: „Frauen (k)leben fest“. Wer möchte hier nicht mit(k)leben, vor allem da es gegen „Schaider, Huessel, Hump und Sump“ geht? Auch wenn der zufällig gerade anwesende Christian Y. Schmidt die Angelegenheit sofort lautstark kommentiert: „Wortspielhölle! Diese Drecksäue!“
Frauen können fast alles, aber können sie auch sprechen? „Können Fische sprechen?“ fragte ein Wissenschaftsmagazin auf seiner Titelseite. Ich aber hatte im Vorübergehen irrtümlich „Können Frauen sprechen?“ gelesen und war schon sehr irritiert. Besonders darüber, dass mir die Fragestellung auf Anhieb einleuchtete. Schließlich hatte ich soeben die abenteuerlichste Entschuldigung aller Zeiten anhören dürfen: „Vorhin hätte ich fast zwei Spaniern geholfen“, freute sich die überaus verspätete Dame zur Begrüßung. Rechtfertigte eine fast notwendig gewordene Spanierhilfe mein fünfundfünfzigminütiges Warten? Waren es die ominösen „Spanier“ oder das eingeflochtene Wörtchen „fast“, die mich zweifeln ließen an den weiblichen Sprechwerkzeugen? Eine mir bekannte junge Dame brummt, wenn sie unwillig ist und ein Zeichen des Unmuts von sich gibt, wie der Vibrationsalarm eines Handys. Eine andere Dame rülpst gern laut: „Aber der Mund war zu“, freut sie sich jedesmal über die Einhaltung der Etikette. Andere Frauen schreiben Notizzettel. So hinterließ eine leider noch vielzu unbekannte Jungautorin folgende Information im Flur ihres Hauses: „Kann man freundlicherweise die Luft in den Reifen meiner Tochter lassen?“ Die Luft im Kopf und in den Reifen der Töchter kann eine Frau sich schon mal in einem Bild des Groteskenkünstlers Eugen Egner verirren, der Menschen statt Füße stets Reifen anzeichnet.Schreiben können Frauen jedenfalls. Am Internationalen Frauentag wollte die Frauenredakteurin einer großen deutschen Wochenzeitung ihren Grundsatzartikel mit den Worten einleiten: „Der 8. März ist der Stichtag für Frauen. Endlich ist die Zeit des Schluckens und Schweigens vorbei.“ Unglücklicherweise wurde sie davon abgehalten, diese Worte zu schreiben.
Frauen öffnen sich
Aber mit wem sprechen Frauen, wenn nicht mit Männern? Das klärt eine Anzeige in der Frauenzeitschrift Blattgold: „NEU: am 20.02.2000 beginnt eine Baumgruppe mit monatlichen Touren ins Berliner Umland zu alten Bäumen und Waldplätzen. Frauen/Lesben mit Interesse an kreativen Begegnungen mit den Bäumen und ihren Kräften; sich öffnen für die Rhythmen der Erde: Mythologie, Naturerfahrung, Baumheilkunde ... Verbündete“. Sich öffnen für Verbündete. Da möchte man verbündet sein. Und Frauen umarmen.
„Und Männer können doch sprechen“, ereilt mich kurz vor Toresschluss noch die Pressemitteilung eines „Emotional Trainers“ aus Limburg. Männer können eben auch fast alles. Ich möchte doch lieber Baum sein.
MICHAEL RINGEL
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