■ H.G. Hollein: Verpflanzt
Die Frau, mit der ich lebe, hat eine Freundin, die sich sehr viel auf ihren Balkon zu Gute hält, auf dem angeblich alles aufs Schönste gedeiht. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn S., die Freundin, diesen Umstand für sich behalten würde. Das Werden dieser grünen Hölle gewinnt in meinen Augen nicht an Interesse, indem es als rekurrierender Topos im Verlauf eines mehrstündigen Abendessens zu jedem Gang erneut auf den Tisch kommt. Seit unserem letzten Besuch bei S. ist selbige allerdings zurückhaltender. Entdeckte doch mein botanisch geschultes Auge in der Rankenpracht ein Gewächs, dessen Samentütchen es als „goldenen Neger“ auswies. Für eine im linksliberalen Lager verortete Afrikanistin wohl kaum der politisch korrekte florale Hintergrund. S. schwieg denn auch – zum ersten Mal seit langem – betreten. Zumal eine von diesem Anfangsverdacht ausgehende intensivere Inaugenscheinnahme ihrer pflanzlichen Selbstdarstellung eine höchst bedenkliche Programmatik erkennen ließ. Das eine oder andere Exemplar der „schwarzäugigen Susanne“ war ich ja noch bereit durchgehen zu lassen, aber in der massierten Verbindung mit dem „fleißigen Lieschen“ und reichlich „Männertreu“ kam ich um das Verdikt einer unterschwellig antifeministischen Grundhaltung nicht herum. S. verstieg sich in Ausreden wie „Aber die sind doch so schön“ und ein entlarvendes „Es sieht doch keiner“, was ihr – wie ich finde verdient – auch noch den Vorwurf der Heuchelei eintrug. Erschüttert rief ich zum Boykott des S.schen Balkons auf, nur um dafür der Humorlosigkeit bezichtigt zu werden. Immerhin: S. gelobte Besserung. Seit Neuestem erzählt sie mir gerne mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen, wie sie lustvoll ihren Knöterich beschneidet.
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