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Raffiniert und figomenal

Nach dem 2:0 über die Türkei: Mit einem genial aufspielenden Luis Figo und dem Willen, nicht nur schön zu spielen, sondern auch mehr Tore zu schießen, ist Portugal der Topfavorit auf den EM-Titel

aus Amsterdam BERND MÜLLENDER

Portugal, einer der vorher rund zehn EM-Geheimfavoriten, steht seit Samstagabend kurz vor 20 Uhr als erstes Team im Halbfinale. Aber was bedeutet das schon?

Bislang hatte die Mannschaft kaum ernsthafte Gegner: Gegen mäßige Rumänen gelang ein Glückssieg in der Nachspielzeit; Erfolge gegen Fußball-Entwicklungsländer wie England und Deutschland haben gar keine Aussagekraft. Und jetzt ein 2:0-Triumph gegen die Türkei, der im Nachhinein so locker wirkte, als wären noch einmal Ribbecks Geisterspieler am Werk gewesen.

Dabei war der Sieg in der nicht ausverkauften und geschlossenen AmsterdamArena (erstes Indoor-Spiel in der EM-Geschichte) von zwei Men of the Match bestimmt. Der offiziell Gekürte von beiden war nicht Portugals Doppeltorschütze Nuno Gomes, sondern weiserweise Luis Figo, dessen Wirken auf dem Platz von geradezu Atem raubender Genialität gekennzeichnet war: Pässe im Dutzend (beide zu den Toren), beidfüßig raffinierte Flanken, geschmeidige Tricks und Kombinationen, dazu Körperdrehungen um bislang unbekannte Vertikal-Achsen. Und das in jeder Ecke des Rasens; Figo, der erste Angreifer auf beiden Außenbahnen, der auch im Mittelfeld wirbelt, schafft, rackert, das Spiel zelebriert. Figo, der Überallige.

Dramatisch unwürdig indes, dass Figo nachher auch zum Phrasenschwein des Tages wurde. Auf die Frage in der Mixed Zone, ob nicht auch schöner Fußball wichtig sei, hätte er ästhetische Grundsatzdebatten anschieben können. Aber er sagte nur: „Wichtig ist zu gewinnen. Ich bin glücklich über meine Leistung, aber noch glücklicher über mein Team.“

Zweiter Man of the Match war Schiedsrichter Dick Jol aus Den Haag. Der 44-jährige Hobby-Angler ist im Heimatland im Dauereinsatz: Schon sein drittes Match bei der EM, beide Teams hatte er merkwürdigerweise schon einmal gepfiffen. Beim unterirdisch-grausamen 0:0 zwischen der Türkei und Schweden in Eindhoven war er indes nur mit Mühe der beste Mann auf dem Platz. Schon damals fiel er durch selbstgefällige Entscheidungen eines unantastbaren Rechthabers auf.

Wüste Grätschen lässt er, wie man es auch von manchen Europapokal-Matches weiß, gern mit väterlichem Lächeln ungeahndet, Nebensächlichkeiten quittiert er manchmal mit grimmem Blick und wildem Geblase (Gelb für Ballwegticken über zehn Meter). In Holland scheint man das zu mögen. Zu jedem Spiel weiß der rundliche Flötist Fans auf der Tribüne, die ein „Dick-Jol“-Plakat wehen lassen. Am Samstag schaffte Jol nicht nur Turnierrekord mit acht gelben Karten, sondern entschied das Match mit zwei seltsamen Auftritten.

Der erste war der weichenstellende Platzverweis von Alpay nach einer halben Stunde, über den Portugals Trainer Humberto Coelho nachher vage-mutig urteilte: „Trainer sind zum Trainieren da, Spieler zum Spielen und Schiedsrichter zum Pfeifen.“

Portugals Fernando Couto, als Abwehr-Rammbock das 85-Kilo-Gegengewicht zum feinen Kombinationsspiel der Seinen, war mit dem Türken Alpay zusammengekracht und spürte dann, wie er später kundtat, „einen Schlag ins Gesicht“. Für den wurde Alpay von Jol lächelnd platzverwiesen. Alpay hatte zwar sichtbar mit der Faust im Reflex ausgeholt, war aber gar nicht mehr zum möglichen Schlag gekommen, weil Couto von Mitspieler Jorge Costa im gleichen Moment unabsichtlich niedergewalzt worden war.

Dann gab Jol Elfmeter für die Türken. Wir wollen ihm nicht anlasten, dass Arif diesen verschoss. Wohl aber, dass er den Gelb verwarnten Couto für seine Grätsche nicht vom Platz stellte, was er den Regeln nach hätte machen müssen, und den Türken alle Chancen gelassen hätte. Offenbar aber hat Dick Jol, nach eigener Aussage ein großer Sushi-Freund, in seinen unberechenbaren Momenten auch ein Faible für rohes Spiel.

Türkei: Rüstü - Fatih, Ogün (84. Sergen), Alpay - Tayfun, Okan (62. Oktay), Tayfur, Ergün, Hakan Ünsal - Hakan Sükür, Arif (62. Suat) Portugal: Baia - Conceicao, Couto, Jorge Costa, Dimas - Costinha (46. Sousa), Rui Costa (87. Capucho), Bento - Joao Pinto, Gomes (75. Sa Pinto), Figo Zuschauer: 45 000; Tore: 0:1 Gomes (44.), 0:2 Gomes (56.); Rote Karte: Alpay wegen Tätlichkeit (29.)

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