piwik no script img

Deutsche Ordnung – deutsches Morden

Endlich werden die Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland erforscht. Drei neue und lesenswerte Bücher

Die Wehrmacht führte umso rücksichtsloser Krieg, je deutlicher sich die militärische Niederlage abzeichnete

Als Bundespräsident Johannes Rau im Frühjahr die kleine griechische Stadt Kalavryta besuchte, rückte er für wenige Tage einen Ort in das öffentliche Bewusstsein Deutschlands, der in Griechenland zum Inbegriff für die grausamen „Sühnemaßnahmen“ der Wehrmacht an Zivilisten wurde. In Kalavryta wurde am 13. Dezember 1943 nahezu die gesamte männliche Bevölkerung hingerichtet – das jüngste unter den mehr als 1.300 Opfern war erst dreizehn Jahre alt.

Diese Verbrechen nationalsozialistischer Truppen sind in Deutschland bisher kaum wahrgenommen worden, der Aufklärungsbedarf ist immens. Während Orte wie Lidice oder Oradour-sur-Glane noch als Symbolnamen für die Exzesse der Wehrmacht und der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg bekannt sein dürften, tauchen die Namen von Kalavryta, Kommeno oder Distomo erst gar nicht in deutschen Geschichtsbüchern auf.

Zu den Wehrmachtsverbrechen in Griechenland sind nun drei wichtige Bücher erschienen, die eine wesentliche Lücke bei der Aufarbeitung der Weltkriegsgeschichte schließen. Größere Beachtung verdient hierbei der Sammelband von Loukia Droulia und Hagen Fleischer „Von Lidice bis Kalavryta – Widerstand und Besatzungsterror“. In konzeptioneller Anlehnung an die gleichnamige Konferenz zum 50. Jahrestag des Massakers in Kalavryta werden in diesem Buch elf Beiträge veröffentlicht, die allesamt eine fundierte Faktenanalyse der Verbrechen der Wehrmacht liefern. Hagen Fleischer, Historiker an der Universität Athen, untersucht in seinem Aufsatz ebenso das Gerangel innerhalb der deutschen Offiziersriege um die „effektivsten“ Methoden zur Bekämpfung der Partisanen als auch die Versuche der Okkupationsmacht, „deutsche Ordnung“ im besetzten Griechenland zu diktieren. Die Wehrmacht war dabei bereit, so etwa der damalige Kommandant Kurt Student in einem Truppenbefehl, „unter Beiseitestellung aller Formalien und unter Ausschaltung von besonderen Gerichten“ mit „äußerster Härte“ vorzugehen.

Bereits seit den Sechzigerjahren gilt es als Gemeinplatz in der historischen Forschung, dass die Wehrmacht umso rücksichtsloser Krieg geführt hat, je deutlicher sich ihre militärische Niederlage abzeichnete. In den letzten Kriegsjahren hat es bei der Wehrmacht eine regelrechte „Barbarisierung der Kriegsführung“ gegeben. Sie führte einen Vernichtungskrieg nicht nur im Osten, sondern auch in Serbien und Griechenland.

Kaum eines dieser Verbrechen wurde in Deutschland historisch erforscht, wie Eberhard Rondholz in seinem Beitrag ausführt. Und genauso wenig wurden sie Verhandlungsgegenstand eines bundesdeutschen Gerichtes. Rondholz spricht hier mit den Worten von Ralph Giordano von einem „Rechtsstaat als Synonym für Täterbegünstigung“. Zudem förderten der aufkommende Kalte Krieg, die Wiederbewaffnung Deutschlands und die „Renazifizierung der Justiz“ eine kaum zu durchbrechende Mauer des Schweigens.

Diese Mauer möchte Hermann Frank Meyer mit seinem jüngsten Buch „Kommeno – Erzählende Rekonstruktion eines Wehrmachtsverbrechens in Griechenland“ durchbrechen – einem auch für Berufshistoriker wichtigen Beitrag zur Weltkriegsgeschichte. Meyer hat akribisch recherchiert und dabei unbekannte Dokumente entdeckt. Darüber hinaus hat Mayer etliche Interviews mit Zeitzeugen auf griechischer wie auf deutscher Seite aufgezeichnet. In seiner systematisch überzeugenden „Rekonstruktion“ versucht er nicht Mitleid für die Opfer zu erheischen, sondern er lässt unumstößliche Fakten sprechen, die Schuld individuell fassbar machen. Fakten, die den Mythos entzaubern, dass die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg „anständig“ und „sauber“ geblieben sei.

Franzeska Nika hat diese „saubere“ Wehrmacht als junges Mädchen in Kalavryta erlebt – als eine mordende und raubende Bande von Soldaten, die weder Jugendliche noch Greise verschonten. Ihre traumatischen Erlebnisse hat sie in einem packenden Augenzeugenbericht niedergeschrieben. Die Szenen des Wahns, das Herzensleid der verwaisten Frauen, der Anblick der toten Männer, das zerstörte Dorf – all das braucht keine literarischen Überzeichnungen, keine stilistischen Pirouetten.

Ungeachtet der erlebten Katastrophe unterscheidet Franzeska Nika in ihren bewegenden Aufzeichnungen wohlweislich zwischen den deutschen Tätern und dem deutschen Volk. Sie schickt sich nicht an, pauschale Verurteilungen auszusprechen. Ihr Anliegen ist das allzu menschliche Verlangen nach einem würdigen Gedenken an die Opfer dieser Gräueltaten. Was mochte wohl in ihr am 4. April dieses Jahres vorgegangen sein, als Johannes Rau in das Gästebuch von Kalavryta den Psalm 78,4-4 eintrug: „Was wir hörten und erfuhren, was uns die Väter erzählten, wollen wir vor unseren Kindern nicht verbergen, sondern den kommenden Geschlechtern erzählen.“ NIKOS GEORGAKIS

Loukia Droulia, Hagen Fleischer: „Von Lidice bis Kalavryta“, Metropol Verlag, 296 Seiten, 38 Mark Franzeska Nika: „Kalavrita 1943. Augenzeugenbericht“, Romiosini Verlag, 81 Seiten, 19,80 Mark Hermann Frank Mayer: „Kommeno. Erzählende Rekonstruktion eines Wehrmachtsverbrechens in Griechenland“, Romiosini Verlag, 151 Seiten, 24,80 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen